Strategien gegen Antisemitismus in Deutschland
Auf Einladung des Fördervereins diskutierten (Moderation: Rainer E. Klemke) am 18. März 2024 in der Berliner „Hörsaalruine“ Experten über „Strategien gegen den Antisemitismus“: Prof. Dr. Uffa Jensen, stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, Dervis Hizarci von der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KlgA e.V.“(ausgezeichnet mit dem Elie Wiesel Award, der höchsten Auszeichnung des US Holocaust Memorial Museum) und Dr. Nikolas Lelle von der „Amadeu Antonio Stiftung“ (Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus).
Die Intention für die Veranstaltung lag darin, dem seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 unverschämter und aggressiver auftretenden Antisemitismus entgegenzutreten. Gleichzeitig sollten Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Aufgabe erörtert werden. Dass es in der Praxis offenbar nicht so einfach ist, politische Kritik und Antisemitismus zu unterscheiden und gegebenenfalls zu sanktionieren, erfuhr der Berliner Kultursenator Joe Chialo, als er verkündete, künftig in der Kulturförderung Antisemitismus zu sanktionieren. Das setzt offenbar eine genaue Definition des Antisemitismus und das entsprechend darauf abgestimmte rechtliche Instrumentarium voraus, weshalb der Senator wieder zurückrudern musste.
Grund genug für den Förderverein, Experten einzuladen, die uns einerseits bei der Definition und der Begriffsabgrenzung zum Antisemitismus aus ihrer wissenschaftlichen Sicht weiterhelfen, wie auch Praktiker, die uns aus ihrer Arbeit und Erfahrung raten können, wie wir gesellschaftlichem Antisemitismus entgegentreten oder zumindest dazu einen Beitrag leisten können. Prof. Jensen erläuterte aus wissenschaftlicher Sicht, weshalb es nicht so einfach sei, den Terminus Antisemitismus zu definieren. Die von der „International Holocaust Rememembrance Alliance (IHRA)“ 2016 aufgestellte Arbeitsdefinition des Antisemitismus sei zwar weit verbreitet, aber nicht präzise genug für die Forschung. Die IHRA definiert Antisemitismus als „bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Diese Formulierung sei zu vage, um damit im wissenschaftlichen Diskurs sicher arbeiten zu können.
So sei zu fragen, was hier der Begriff „bestimmte“ bedeute und was er hier leiste. Nicht zuletzt deshalb bestehen auch nicht nur sozialwissenschaftliche, sondern auch gravierende juristische Bedenken dagegen, die IHRA-Arbeitsdefinition in deutsches Recht zu implementieren. Die ausdrücklich nicht als rechtsverbindlich beschlossene Arbeitsdefinition aus dem Jahre 2016 ist viel zu unbestimmt und zu unklar, um als juristische Norm dienen zu können, betonen Juristen.
Dies gelte umso mehr, als bei einer gesetzlichen Festlegung auf die IHRA-Definition ein Verstoß gegen die im Grundgesetz festgelegte Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit drohe. Jensen gehört aufgrund der Schwächen der IHRA-Definition zu den Erstunterzeichnenden der im März 2021 veröffentlichten „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ („Jerusalem Declaration on Antisemitism“, JDA), die für eine präzisierende Neudefinition des Antisemitismus plädiert. Eine Kerndefinition der Erklärung lautet: „Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).“ Jensen hat mit anderen Autoren gerade eine neue Publikation unter dem Titel „Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft“ herausgegeben, um so einen Beitrag zu Fortentwicklung des wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses zu leisten.
Hizarci und Lelle (der sich hierbei deutlich von Jensens Position absetzte) betonten in ihren Ausführungen, dass sich die IHRA-Arbeitsdefinition – ungeachtet wissenschaftlicher Bedenken und Kontroversen – in ihrer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit insgesamt bewährt habe. Die von Seiten der IHRA gelieferten Anwendungsbeispiele hätten sich in der Bildungsarbeit als nützlich erwiesen. Lelle führte aus, dass in der deutschen Mehrheitsgesellschaft der Antisemitismus sehr präsent sei. Es gebe einen Mangel an Empathie und Solidarität mit jüdischen Menschen in Deutschland. Jede Art von Antisemitismus begünstige eine Schlussstrichmentalität. Er betonte, dass es beim Kampf gegen den Antisemitismus sehr wichtig sei, die Zivilgesellschaft vor Ort zu stärken. Die demokratischen Potentiale müssten sichtbar werden. Haltung zeigen sei angesagt. Hirzaci verwies darauf, dass die zunehmende Spaltung in unserer heutigen Gesellschaft, Lernprozesse behindere. Dieser Tendenz gelte es entgegenzuwirken, indem man das Verbindende betone.
Die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus, Hass und Intoleranz sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bereits früh eingeübt werden müsse. In der täglichen Praxis, so betonte Hizarci, sei die Fähigkeit zur Empathie von herausragender Bedeutung. Es gelte mit den Menschen, wer immer sie seien, mit innerem Interesse zu sprechen und ihnen aufmerksam zuzuhören. Das bringe am ehesten Erfolg.
Die Zusammenkunft und Diskussion zeigte am Ende, dass trotz relevanter Auffassungsunterschiede in der Definition des Antisemitismus dessen Bekämpfung alle Beteiligten eint.
Bernward Dörner