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„Verfolgt, ‚arisiert’, wiedergutgemacht? Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde“ Vortrags des Historikers Prof. Johannes Bähr

Zur Geschichte eines Warenhauskonzerns

„Verfolgt, ‚arisiert’, wiedergutgemacht? Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde“, war das Thema eines Vortrags des Historikers Prof. Johannes Bähr (Goethe-Universität Frankfurt am Main) vor dem Beginn der Mitgliederversammlung unseres Fördervereins am 16. November 2024. 

Der renommierte Unternehmenshistoriker präsentierte die Ergebnisse seiner Recherchen, die Eingang in sein mit dem Historiker Ingo Köhler herausgegebenes aktuelles Buch gefunden haben. Der Name „Hertie“ ist Jüngern heute kaum noch bekannt. Das Unternehmen gehörte jedoch bis 1994, als die Kaufhof AG den Warenhauskonzern übernahm, zum Alltag vieler Deutscher. Der Konzern hat seine Wurzeln in einer Geschäftsgründung des jüdischen Unternehmers Oscar Tietz. Bis 1933 firmierte das Unternehmensgeflecht der Gründer-Nachfahren unter „Hermann Tietz OHG“. Nach der NS-Machtübername geriet der Konzern durch die antisemitische Politik des Regimes schnell unter Druck. Begehrlichkeiten entstanden sehr schnell. Die Gründerfamilie verlor ihr Eigentum an ihrem Unternehmen. Die gemeinnützige Hertie-Stiftung existiert indes bis heute. Sie wurde 1974 aus dem Konzern heraus gegründet. Die auf Exzellenz abzielende „Hertie School of Governance“ entstand 2003. Deren Studierende interessierten sich für die historischen Hintergründe der Hertie-Stiftung sowie ihrer privaten Hochschule. Sie gingen an die Öffentlichkeit und forderten 2018 eine gründliche historische Aufarbeitung. Mit dieser Aufgabe betraut wurden einschlägige Experten: Prof. Johannes Bähr und sein Kollege Ingo Köhler.

Nach dem Tod des Gründers führten seine Söhne Oskar und Martin und sein Schwager Hugo Zwillenberg den Konzern. Dieser expandierte bei allerdings erheblicher Verschuldung und geriet Ende der 1920er Jahre im Zuge der Weltwirtschaftskrise in Schwierigkeiten. Bähr betonte, dass der Konzern jedoch durchaus sanierungsfähig gewesen sei. Boykott- und Gewaltaktionen gegen dessen Warenhäuser sowie die propagandistisch gegen sie ausgerichtete Politik des NS-Regimes stellten die Existenz des Konzerns in Frage. In dieser Situation kam es zur Verdrängung der jüdischen Inhaber aus Ihrem Eigentum: In der ersten Hälfte des Jahres 1933 trat zunächst ein Konsortium der Gläubigerbanken in das Unternehmen ein. Die Brüder Tietz und Zwillenberg wurden aus der Geschäftsführung ausgeschlossen, Voraussetzung für die Freigabe unverzichtbarer Kredite für das Unternehmen. Angesichts der symbolischen wie auch ökonomischen Bedeutung der Sache war Hitlers persönliche Zustimmung zu diesem Vorgehen nötig. Schließlich entstand nach komplizierten Verhandlungen ein Auseinandersetzungsvertrag, der das endgültige Ausscheiden der jüdischen Eigentümer für Ende 1934 bestimmte. Eine wiederholt kolportierte „großzügige Abfindung“ der Inhaberfamilie verweist Bähr in den Bereich der Legende. Die Bewertung von deren Unternehmensanteilen sei schließlich nicht vorrangig anhand kaufmännischer Grundsätze erfolgt. Vielmehr hätten die politischen Rahmenbedingungen die Familie Tietz zu unverhältnismäßigen Zugeständnissen genötigt. Deren Zustimmung zum Auseinandersetzungsvertrag sei ihnen allerdings dadurch erleichtert worden, dass Teile ihres Eigentums (darunter Grundstücke und Wertpapiere) bei ihnen verblieben. Zudem wurden sie aus der Haftung entlassen und, so hieß es, von der „Reichsfluchtsteuer“ befreit. Im Ergebnis verloren die Familien Tietz und Zwillenberg den größten Teil ihres Eigentums und verließen Deutschland. Einem ihrer früheren Bereichsleiter, Georg Karg, gelang es in der NS-Zeit, den Gläubigerbanken die Mehrheitsanteile an dem Unternehmen zu erstaunlich günstigen Konditionen abzukaufen und so zum Alleininhaber zu werden. 

Nach dem Untergang des nationalsozialistischen Regimes agierte der öffentlichkeitsscheue Karg auch als Schlüsselfigur im Zuge von Verhandlungen mit der Tietz-Familien über eine Rückerstattung ihres Eigentums. Hierbei gelangte man schließlich auch durch sein Agieren zu einer pragmatischen Lösung: Die Familien Tietz und Zwillenberg erhielten Eigentumsanteile an dem Unternehmen zurück und verpachteten diese langfristig an den Hertie-Konzern. Die Ausgleichszahlung durch Pachtzins bestand in einer bis zu 2,5-prozentigen Umsatzbeteiligung. Durch den großen Wirtschaftserfolg der Warenhäuser in einem Wirtschaftswunderland noch ohne Internetbestellungen erwies sich das Arrangement auch für die Eigentümerfamilien als insgesamt erfolgreich. Auf dieser Basis war schließlich auch die Gründung der Hertie-Stiftung möglich. 

Prof. Bähr ist für seine spannenden Ausführungen, auf die eine fruchtbare Diskussion seiner Ergebnisse folgte, sehr zu danken.

 

 Bernward Dörner