Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen

Presseinformationen

41/25: In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde heute der Opfer des sowjetischen Speziallagers gedacht

07. September 2025

Nr.: 41/2025

80 Jahre nach seiner Einrichtung ist heute in der Gedenkstätte Sachsenhausen an die Opfer des sowjetische Speziallagers (1945-1950) erinnert worden. Bei einer Gedenkveranstaltung sprachen Axel Drecoll (Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten), Joachim Krüger (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V.), Benjamin Grimm (Minister der Justiz und für Digitalisierung des Landes Brandenburg), Franziska Giffey (Bürgermeisterin und Senatorin von Berlin) und Leonore Bellotti (ehemalige Inhaftierte des Speziallagers) zu den Anwesenden. An der Veranstaltung, zu der die Gedenkstätte und die Arbeitsgemeinschaft eingeladen hatten, nahmen rund 150 Gäste teil, unter ihnen vier ehemalige Inhaftierte sowie zahlreiche Angehörige. Am Gedenkort auf dem Friedhof am ehemaligen Kommandantenhof, wo sich ein Massengrab mit rund 7.000 der insgesamt 12.000 Opfer des Speziallagers befindet, wurden Kränze niedergelegt.

Justizminister Benjamin Grimm sagte: „Wir können das erlittene Unrecht nicht wiedergutmachen. Wir müssen erinnern, aufarbeiten, gedenken: Das sind wichtige Mittel, die wir haben, um die Opfer mit der Würde zu behandeln, die ihnen gebührt. Und dazu gehört: Diesen Ort, als das sehen, was er ist. Ein Ort mit einer schrecklichen, aber auch komplexen Geschichte, die wir in ihrer ganzen Breite wahrnehmen und mit der erforderlichen Differenzierung betrachten sollten.“

Bürgermeisterin Franziska Giffey erklärte: „Der 80. Jahrestag der Verlegung des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 in das ehemalige KZ Sachsenhausen erinnert uns an das unermessliche Leid der etwa 60.000 Frauen, Männer und auch Kinder, die hier über Jahre sowjetischer Willkür und Repression ausgesetzt waren. Viele von ihnen starben und das an dem Ort, an dem während der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten zehntausende Häftlinge Zwangsarbeit, Gewalt, Krankheit und Tod erdulden mussten. Es ist wichtig, dass wir die Opfer des sowjetischen Speziallagers nicht vergessen. Jedes Opfer mahnt uns, für unsere Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Mein Dank gilt den Engagierten der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen sowie auch der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen, die mit ihrer wichtigen und unermüdlichen Arbeit die Erinnerung an die Geschichte dieses Ortes und der Opfer wachhalten.“

Leonore Bellotti, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiern konnte und von 1946 bis 1950 zusammen mit ihrer Mutter im Speziallager inhaftiert war, berichtete vom Haftalltag: „Wir bekamen Lappen, die haben wir zerschnitten und die Fäden aufgezogen und aneinandergeknotet. Meine Mutter knotete immerzu Fäden. Die Stricknadeln waren zuvor Fahrradspeichen. Es gab Frauen, die in dieser Hinsicht sehr geschickt waren. Die haben den anderen gezeigt, wie man Kniestrümpfe strickt. Wer aber nun gar nicht stricken konnte, der konnte sich auch von anderen etwas stricken lassen. Das aber musste bezahlt werden. Das ging nur mit Brot. Eine Tagesration Brot war eine Kuhle. Das war die Währung. Auf jeden Fall wurde nicht ständig geweint oder gejammert. Man hat eine Möglichkeit gefunden, da zu existieren. Zu essen gab es immer dasselbe. Ich habe nie ein Salatblatt oder einen Apfel gesehen. So etwas gab es nicht. In der Nebenkammer, da waren zwei Mütter mit zwei Babys. Da habe ich mich gefragt, wie geht denn das? Die Frauen können doch gar keine Milch haben. Wie ernähren sie mit diesem salzigen Essen diese Kinder? Nach einer Weile bekamen wir auch Marmelade und ein bisschen Zucker.“

Stiftungsdirektor Axel Drecoll sagte: „Orte wie Sachsenhausen fordern uns auf, zu gedenken, an das Leid zu erinnern, Unrecht und Menschenfeindlichkeit aufzuarbeiten und die komplexe Geschichte des Ortes kritisch zu reflektieren. Das zwingt uns zu genauem Hinsehen und fordert zu Diskussionen auf. Das ist nicht nur zulässig, sondern sogar notwendig. Eine lebendige Erinnerungskultur braucht die Auseinandersetzung, benötigt eine Debatte, die verschiedene Perspektiven beinhaltet. Gefährlich wird es dann, wenn Parteien oder politische Bewegungen diese Zielsetzung verlassen. Dann dient Geschichte nicht mehr der kritischen Reflexion, sondern wird zum Selbstbedienungsladen für die Begründung aller möglichen diskriminierenden, repressiven oder rassistischen Zielsetzungen. Die damit verbundenen Gefahren sind heute mit Händen zu greifen. Hier in Brandenburg, in Deutschland und in den autokratischen Systemen weltweit, die sich historischer Mythen bedienen und Verbrechen in der Vergangenheit verharmlosen, um ihre repressive Politik zu kaschieren oder gar zu rechtfertigen. Es ist daher so wichtig wie selten zuvor, dass wir mit Gedenktagen wie dem heutigen ein Zeichen für die kritische Aufarbeitung von Geschichte setzen, für ein plurales, freiheitlich-demokratisch verfasstes Miteinander.“

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Joachim Krüger, ergänzte: „Auch in diesem so geschichtsträchtigen Erinnerungsjahr wollen wir mit Überlebenden und Angehörigen der NKWD-Opfer im Speziallager Sachsenhausen gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft an die vielen tausend Toten der Jahre 1945 bis 1950 und auch danach in DDR-Gefängnissen erinnern. Der 80. Jahrestag der Verlegung des Speziallagers Nr. 7 nach Sachsenhausen lehrt uns: nur wer die damalige Wahrheit erinnert und ausspricht und der Opfer gedenkt, kann eine gewaltfreie Zukunft rechtsstaatlich und demokratisch überzeugend gestalten. Mit der Ausstellung „frauenHAFT“ über die Frauen, die aus der Haft in Sachsenhausen 1950 in das DDR-Gefängnis Hoheneck gezwungen wurden und deren Leidenszeit dort brutal fortgeführt wurde, wird der Versuch unternommen, Einzelschicksale aufzuzeigen und damit ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Dieser Präsentation wünsche ich viele interessierte und mitfühlende Besucherinnen und Besucher, hier in Sachsenhausen und überall dort, wo diese Ausstellung gezeigt werden wird.“

Am Nachmittag findet eine Buchvorstellung mit der Autorin und Geigerin Anna Barbara Kastelewicz statt, die im Gespräch mit Astrid Ley (Leitung Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen) ihr Buch „Musik, wo Schweigen ist“ vorstellen wird, das sich mit kulturellen Betätigungen der Inhaftierten in den sowjetischen Speziallagern beschäftigt. Gemeinsam mit dem Pianisten Arno Schneider wird sie musikalische Beispiele vortragen.

 

Bereists am gestrigen Samstag wurde die Wanderausstellung „frauenHAFT. Sowjetische Repression und DDR-Strafvollzug (1945-1956)“ eröffnet, die noch bis zum 7. April 2026 im Museum zur Geschichte des Speziallagers zu sehen ist. Im Mittelpunkt stehen die 1.119 Frauen und 25 Kinder, die am 11. Februar 1950 im Kontext der Auflösung des Speziallagers in Sachsenhausen an die DDR übergeben und in die Strafanstalt Hoheneck verbracht wurden. Anhand von Fotos, Zeitzeuginnenberichten und Erinnerungsstücken werden zwölf Frauen biografisch vorgestellt. Ihre Schicksale erzählen ein fast vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte, das von Verfolgung, Unrecht, Leid und Selbstbehauptung geprägt war. Die Ausstellung kann auch online in einem 360°-Rundgang erkundet werden.

Hintergrund
Seit Anfang der 1990er Jahre wird der Jahrestag der Ankunft der ersten Inhaftierten in Sachsenhausen von ehemaligen Häftlingen und ihren Angehörigen als Gedenktag begangen. Im Zuge der Verlegung des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 von Weesow (bei Werneuchen) waren am 16. August 1945 mehr als 5.000 von der Haft geschwächte Häftlinge nach einem Fußmarsch von rund 40 Kilometern in den Baracken des ehemaligen KZ Sachsenhausen eingetroffen. 

Die sowjetische Besatzungsmacht errichtete in ihrer Zone zehn Speziallager, die sowohl Instrumente der Entnazifizierung als auch der stalinistischen Herrschaftssicherung waren. In den Speziallagern Weesow und Sachsenhausen waren bis zur Auflösung des Lagers im Frühjahr 1950 rund 60.000 Menschen inhaftiert, unter ihnen bis zu 5.000 Frauen. 12.000 Inhaftierte starben an Hunger und Krankheiten. Im Lager waren vorwiegend Angehörige unterer Funktionsränge des NS-Regimes, aber auch Beschäftigte aus Verwaltung, Polizei, Justiz, Wirtschaft sowie SS-Personal aus den Konzentrationslagern inhaftiert. Zu den Häftlingen zählten außerdem politisch Missliebige und willkürlich Verhaftete sowie von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Prägung, darunter Deutsche und Nichtdeutsche, Rotarmisten und Wehrmachtsangehörige, Männer und Frauen, Alte und Junge, NS-Belastete und Unbelastete.

 

Wanderausstellung „frauenHAFT. Sowjetische Repression und DDR-Strafvollzug (1945-1956)“

Ort: Museum zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen (bis 27. April 2026)
Öffnungszeiten: täglich 8.30 bis 18.00 Uhr (27. Okt. bis 30 März bis 16.30 Uhr)

Eine Ausstellung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte unter Beteiligung der Gedenkstätten Sachsenhausen, Leistikowstraße Potsdam, Brandenburg an der Havel und Jamlitz in Lieberose.

Gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V und den Förderverein Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam e.V.

 

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Straße der Nationen 22 | 16515 Oranienburg

Information: www.sachsenhausen-sbg.de

 

Verantwortlich:
Dr. Horst Seferens | Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
16515 Oranienburg | Heinrich-Grüber-Platz | T +49 3301 810920
seferens(at)stiftung-bg.de | www.stiftung-sbg.de


Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wird durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

 

Zurück zur Übersicht