Grußwort des Vorstands der Schmittmann-Wahlen-Stiftung
Dr. Georg Roderburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor etwas mehr als 80 Jahren setzte das nationalsozialistische Regime dem engagierten und mutigen Leben Benedikt Schmittmanns ein brutales Ende. Nachdem Benedikt Schmittmann schon kurz nach dem Machtwechsel 1933 mit einem Lehrverbot belegt und von den neuen Machthabern aus der Öffentlichkeit gedrängt worden war, wurde er am 1. September 1939 unmittelbar mit Kriegsbeginn verhaftet und hier in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht. Nur wenige Tage später – am 13. September 1939 – wurde er dann hier im Lager von SS-Leuten sprichwörtlich zu Tode getreten. Benedikt Schmittmann war vor der drohenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten gewarnt worden. Freunde hatten ihm die Emigration nahegelegt. Schmittmann aber blieb und stellte sich seinem Schicksal.
Mit Benedikt Schmittmanns gewaltsamen Tod ging ein beeindruckendes Leben zu Ende, geprägt von einem tiefen christlich-katholischen Glauben und den Ideen der katholischen Soziallehre war Benedikt Schmittmann kein „bloßer“ Hochschullehrer, der die Umsetzung seiner Ideen anderen überließ. Er mischte sich ein. Er kämpfte für seine Ideen – sei es in jungen Berufsjahren als Verwaltungsbeamter im preußischen Wohlfahrtswesen, als Zentrumsabgeordneter in der Preußischen Landesversammlung oder als Gründer und Leiter des Reichs- und Heimatbundes Deutscher Katholiken – der die politischen Wogen der Weimarer Zeit engagiert publizistisch begleitete und in seinem immer für Studierende, Professoren und Politikern verschiedenster Nationen offenen Haus diskutierte. Viele seiner Ideen waren wegweisend und fanden später – nach dem Zweiten Weltkrieg – in der Sozialpolitik der Bundesrepublik ihren Niederschlag.
Benedikt Schmittmann war so in vielerlei Hinsicht Ideengeber, Inspirator und sich einmischende, nicht einzuschüchternde Stimme in den unruhigen Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg. Diese Stimme wollten die Nationalsozialisten mit ihrem brutalen Mord an Schmittmann gezielt für immer zum Schweigen bringen.
Achtzig Jahre sind nun seit dem Tod Benedikt Schmittmanns vergangen. Vieles hat sich in den Jahren verändert. In einem bin ich mir allerdings gewiss: Zum Schweigen gebracht ist Benedikt Schmittmann auch heute noch nicht. Das Erbe Benedikt Schmittmanns und seiner Frau Helene lebt immer noch weiter. Sei es in den Studierenden, die in dem von Helene Schmittmann nach dem Krieg in dem alten Wohnhaus der Eheleute gegründeten Schmittmann-Kolleg in Köln wohnen und wohnten, sei es in den Stipendiaten und Stipendiatinnen, die seit der Gründung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung im Geiste Schmittmanns gefördert wurden. Zu nennen sind auch die vielen anderen, die sich in den letzten Jahrzehnten publizistisch und wissenschaftlich mit dem Werk Schmittmanns befasst haben – immer noch setzen sich Menschen mit dem Leben und Werk Schmittmanns auseinander – reiben sich an seinen Ideen und ziehen aus seinem Werk neue Impulse und Schlüsse für die Gegenwart:
Jedes Semester treffen sich die aktuellen und ehemaligen Stipendiaten der Schmittmann-Wahlen-Stiftung und diskutieren gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart – auch im Lichte des Werks Benedikt Schmittmanns.
- Die Hausbewohner des Schmittmann-Kollegs setzen sich regelmäßig – mit jeder neuen Bewohnergeneration – mit den Eheleuten Schmittmann auseinander. Dass diese Auseinandersetzung bei den Beteiligten tiefen Eindruck hinterlässt, lässt sich an den jährlichen Ehemaligentreffen ablesen: Dort kommen die alten Hausbewohner regelmäßig zusammen, und es erstaunt, wie viele Kinder dieser Ehemaligen den Namen „Benedikt“ erhalten haben (einschließlich meines eigenen Sohnes).
- Das Andenken an Benedikt Schmittmann lebt aber auch außerhalb von Stiftung und Schmittmann-Kolleg: Die Uni-Köln vergibt jedes Jahr in Erinnerung an Benedikt Schmittmann das Schmittmann-Wahlen-Stipendium an eine herausragende Doktorandin oder einen herausragenden Doktoranden. Und erst letzte Woche, am 13. September, ist in der alten Nachbarschaft von Schmittmanns ehemaligem Landhaus in Düsseldorf-Flehe von den dortigen Anwohnern eine Gedenkstehle im Andenken an Benedikt Schmittmann errichtet worden.
Und so stehe auch ich nun hier, als Vertreter der Schmittmann-Wahlen-Stiftung. Übermannt, ergriffen und fast sprachlos angesichts des gewaltigen Unrechts, das an diesem Ort Benedikt Schmittmann und so vielen anderen wiederfahren ist. Aber auch erfüllt von der stillen Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat und dass Friede und Gerechtigkeit am Ende doch siegen können.
Ich weiß nicht, ob ich selber den Mut hätte, wie Benedikt Schmittmann in vollem Bewusstsein der drohenden Verfolgung und Tötung an meinem Platz zu verharren und mich nicht zum Schweigen bringen zu lassen.
Gerade in unseren aktuellen wieder unruhiger werdenden Zeiten ist mir Benedikt Schmittmann allerdings immer wieder Hoffnung und Vorbild. Dass dies auch in Zukunft für möglichst viele Menschen so sein mag und die Stimme Benedikt Schmittmanns in ehrenvoller Erinnerung gehalten wird, ist Erbe und Auftrag der Schmittmann-Wahlen-Stiftung.
Grußwort von Prälat Dr. Karl Jüsten
Zur Bedeutung von Benedikt Schmittmann als Märtyrer der katholischen Kirche
„Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde. Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind“, so lautet die Inschrift in der Krypta von Maria Regina Martyrum – der katholischen Gedächtniskirche unweit der Gedenkstätte Plötzensee und direkt benachbart dem Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee mit seinem bekannten „Plötzenseer Totentanz“. Die Inschrift des Symbolgrabs erinnert nicht nur an die vielen namenlosen Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Sie lässt vor allem erkennen: Die christliche Erinnerung der Märtyrer macht die Wirklichkeit von Diktaturen sichtbar, indem sie deren Gewalt-Opfer dem staatlich verordneten Vergessen – der „damnatio memoriae“ – entreißt. Aus christlicher Sicht kommt ein zweiter Aspekt hinzu, gleichsam das religiöse Gegenbild totalitärer, säkularer „Damnatio“: Märtyrer sind Zeugen der Versöhnung zwischen verfeindeten Menschen und Völkern, aber auch Zeugen der Versöhnung der Menschen mit Gott.
Die Katholische Kirche ist dankbar dafür, dass dieses christlich bestimmte Verständnis von Erinnerung über den eigenen Kirchenraum hinaus auch an öffentlichen Orten wie der Gedenkstätte Sachsenhausen einen Platz hat – dort, wo der Opfer der NS-Terrorherrschaft in ganz unterschiedlicher Weise gedacht wird. Seit 2001 gibt es hier im ehemaligen Konzentrationslager einen Gedenkstein für Benedikt Schmittmann; seit 2006 darüber hinaus einen Gedenkstein für die über 700, hauptsächlich aus Polen verschleppten Geistlichen, die zunächst hier, seit Ende 1940 dann im KZ Dachau interniert waren.
Die Erinnerung an Benedikt Schmittmann begann mit dem mutigen Widerstand seiner Ehefrau Helene. Sie stammte aus der angesehenen Kölner Kaufmannsfamilie Wahlen. Dass ihr von einem KZ-Aufseher zu Tode getretener Ehemann am 15. September 1939 in seiner Geburts- und Heimatstadt Düsseldorf bestattet wurde, durfte niemand erfahren. Die Gestapo hatte deshalb veranlasst, dass eine Todesanzeige aus der bereits im Druck befindlichen „Kölnischen Volkszeitung" wieder entfernt und ihre Veröffentlichung für die Düsseldorfer Zeitungen ganz verboten wurde: „Er starb unerwartet, fern seiner Familie und seiner engeren Heimat“, lautete der inkriminierte Text. Die Beerdigung auf dem Nordfriedhof und der Trauergottesdienst fanden in aller Stille statt. Die anschließend von Helene Schmittmann veröffentlichte Danksagung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Ein Leben aus dem Glauben ward starkmütig vollendet und ging ein in den Jubel der Bekennerschaft“.
Der Versuch war gescheitert, jegliches Andenken an den unbequemen, nach der „Machtergreifung“ sofort beurlaubten, dann sogar internierten Kölner Sozialwissenschaftler und überzeugten Katholiken auszulöschen; in Zeiten vielfach beschworener patriotischer Pflichterfüllung und christlicher Bewährung im Krieg wurde den Mächtigen des „Dritten Reichs“ die Maske vom Gesicht gerissen.
Keine Erinnerung ohne historische Vergewisserung.
Im Falle Benedikt Schmittmanns sprudeln die Quellen nicht so reichhaltig, wie man sich dies als Historiker gerne wünschen würde. Ob etwa die mittlerweile zugänglichen vatikanischen Aktenüberlieferungen noch Neues zutage fördern könnten über Schmittmanns Privataudienz bei Papst Pius XI. im März 1933 bleibt abzuwarten. In jedem Fall dürfen wir auf die nachfolgenden kompetenten Ausführungen von Frau Hoffmann und Herrn Professor Dörner über Schmittmanns Biographie gespannt sein.
Als gelernter christlicher Sozialethiker empfinde ich persönlich von vorneherein eine gewisse Sympathie mit Benedikt Schmittmann als Professor für Sozialwissenschaften und Direktor des 1923 neu errichteten Instituts für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege. Blickt man auf die geringe Resistenz seines professoralen Wirkungsfeldes an der Kölner Universität, aber auch auf manchen irrlichten Brückenbauversuch katholischer Moraltheologen, so beeindruckt mich besonders Schmittmanns Bereitschaft, dem aufkommenden Nationalsozialismus von Beginn an entgegenzutreten. Der überzeugte Föderalist und Außenseiter in seiner Zentrumspartei stemmte sich allen Annäherungsversuchen rechtskatholischer Kräfte an die NSDAP entgegen. Ende 1931 war sogar entschlossen, seine eigene Zeitung „Volk und Heimat“ mit dem „Illustrierten Sonntag“ des Münchner Publizisten und entschiedenen HitlerGegners Fritz Michael Gerlich zusammenzuführen – ein Vorhaben, das dann allerdings erfolglos blieb. Schmittmann war es offenbar auch, der 1932 den französischen Intellektuellen und Publizisten Robert d’Harcourt auf Gerlich aufmerksam machte.
Kehren wir zum Märtyrer-Gedenken zurück:
Kein Geringerer als Konrad Adenauer hob bereits im Frühjahr 1946 seinen langjährigen Weggefährten und Freund aus dem Kreis der Kölner Universitätsprofessoren heraus: Die Universität Köln könne stolz darauf sein, dass sie diesen Märtyrer einst zu ihren Dozenten habe zählen dürfen. Mitte der 1950er Jahre wurde Schmittmanns Mörder, dem ehemaligen SS-Oberscharführer Wilhelm Schubert, der Prozess gemacht; das Bonner Landgericht verurteilte ihn 1959 zu einer lebenslangen Haftstrafe und zusätzlich fünfzehn Jahren Haft. 1967 ließ Josef Hanrath, Pfarrer von St. Severin in Köln, am Eingang zur Marienkapelle seiner Kirche eine Gedenktafel anbringen: „Hier betete mit uns der Kölner Universitätsprofessor Dr. Benedikt Schmittmann, der am 13.9.1939 im KZ ermordet wurde. Er gab sein Leben für Freiheit und Menschenwürde.“
Ein Vermächtnis, das bis heute nichts an Aktualität verloren hat.
Impulsvortrag der pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann
Wir sind hier heute zusammengekommen, weil ein Mensch zu Tode getrampelt wurde. Wenn wir an diese grausame Tat der KZ-Wächter an Benedikt Schmittmann vor 80 Jahren erinnern, dann tun wir das auch, weil auch heute Menschen zu Tode getreten werden. Unser Gedenken ist verbunden mit unserer Gegenwart. Wir wünschen uns, etwas dafür tun zu können, dass kein Mensch mehr zu Tode kommt, weil er sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt.
Ich würde gerne einmal mit Benedikt Schmittmann reden. Ja sicher, das ist für mich heute beim Geburtsjahrgang 1872 unrealistisch. Und dennoch. Mit Professor Benedikt Schmittmann ist mir als Friedensaktivistin ein Gesprächspartner genommen worden, dem ich gerne zugehört hätte.
Konrad Adenauer beschrieb Benedikt Schmittmann in einer Rede 1946 als einen der Männer und Bewegungen, die es gegeben hat, die mit Mut und Unerschrockenheit für den Friedensgedanken eingetreten sind. Als Adenauer von Prof. Schmittmann sprach, sagte er: „Ich weise hier hin auf den Friedensbund Deutscher Katholiken und auf den Universitätsprofessor Dr. Benedikt Schmittmann von der Universität Köln. Er war führend tätig im Friedensbund Deutscher Katholiken.“ [1]Rede Adenauer am 24. März 1946, zitiert nach: Albert Lotz: Benedikt Schmittmann. Sein Leben und Werk, Frankfurt am Main 1949, S. 55
Hätte der Friedensbund der Katholiken seine Ziele erreicht, wären die Nazis nicht an die Macht gekommen. Der Zweite Weltkrieg wäre wohl verhindert worden.
Was wäre das für eine andere Welt!
Für mich persönlich würde es den Arbeitgeber ändern. Ich bin Generalsekretärin der katholischen Friedensbewegung pax christi. Pax christi ist aus der Initiative französischer und deutscher Katholiken entstanden, die wieder aufeinander zugingen und mit einem Gebetskreuzzug die Deutschen wieder aus dem nationalistischen Denken und Handeln heraus und zum katholischen Glauben zurückholen wollten.
Bei der pax christi-Gründung standen die Internationalität der Glaubensgemeinschaft und die Betonung der Friedensbotschaft der katholischen Kirche im Fokus.
Pax christi als Sühne- und Versöhnungsbewegung hätte nie entstehen brauchen. Der Friedensbund der Katholiken wäre nie verboten worden und wäre heute eine große stolze Gemeinschaft.
Und was wäre das für eine Kirche!
Eine Kirche für die Pazifismus die Grundhaltung ist und die sich als Friedenskirche versteht.
An Benedikt Schmittmann würden wir ganz anders erinnern.
Seine Analysen zu Europa würden uns beschäftigen. 1928 verfasste er eine Schrift über die „Grundkräfte zur Neugestaltung Europas“: „Nur weil bei der Entwicklung des Verkehrs die Einzelstaaten zu eng aufeinander rücken, will man sie zusammenfassen und will nun den europäischen Imperialismus dem Imperialismus anderer Weltmächte in gleicher Kampfgesinnung wie bisher entgegenstellen. Das ist nur eine Verschiebung des Krieges auf erdteilgroße Ausmaße, also eine Steigerung, statt einer Minderung des Kriegswahnsinns. Nur eine Überwindung des machtstaatlichen Imperialismus an sich kann diesen Menschheitsfluch bannen und Europa zum ‚Glied’ einer Völkergemeinschaft machen.“
Wie würden wir heute über das Verhältnis Europas zu den USA, zu Russland, zu China und über den Aufbau einer europäischen Armee diskutieren? Was würde er zu Frontex sagen, der Grenzschutzagentur, die die Abschottung Europas sichert?
Doch Nein, wir können mit Prof. Schmittmann nicht sprechen. Erinnerung und Gedenken können Unheil und Leid nicht ungeschehen machen. Wir erinnern für unsere Zukunft. Wir wollen aus der Geschichte lernen. Bloß was? Was können wir lernen?
Benedikt Schmittmann wurde schon 1933 nach der Machtübertragung an die Nazis in Gestapo-Haft genommen. Ihm wurde die Lehrerlaubnis entzogen. Freunde rieten ihm das Land zu verlassen. Doch wohin? Prag? Paris? Hat er zu lange gezögert? Zuviel vertraut darauf, dass alles gut wird? Nein! Er war Friedensbundler, er wollte dableiben und seine Position vertreten, wollte sein Land verändern, wollte Frieden erwirken. Weg zu gehen und sich zurück zu ziehen, war und ist keine Lösung.
Wie würde er argumentieren?
Die Nazis warfen Schmittmann vor, im Ruhrgebiet und in Köln „Konventikel“ zur Verbreitung der Katholischen Soziallehre abgehalten zu haben. Gemeint waren private Zusammenkünfte, bei denen soziale Fragen diskutiert wurden und Wege gesucht wurden, wie Krankheit und Not überwunden werden können. Über das deutsch-französische und über das deutsch-polnische Verhältnis hat er gesprochen. Er hat Orte geschaffen, an denen der sozialpolitische und friedenspolitische Dialog gepflegt wurde.
Führen wir im Gedenken an Benedikt Schmittmann solche Gespräche.
Gleiten wir nicht ins Private ab. Bleiben wir im politischen Dialog. Bringen wir unsere Sichtweise ein, argumentieren und streiten für Frieden in der Wirtschaft und in der Politik. Heute würden wir sagen: Verbreiten wir friedenslogisches Denken und die Kraft, die wir dafür aus unserem Glauben schöpfen. So kann Erinnerung an Benedikt Schmittmann Sinn für unsere Zukunft machen.
Rede von Prof. Dr. Bernward Dörner
Sehr geehrter Prälat Dr. Jüsten,
sehr geehrte Frau Ohm,
sehr geehrte Frau Hoffmann,
sehr geehrter Herr Dr. Roderburg,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Benedikt Schmittmann, seit 1919 Professor für Sozialpolitik an der Universität Köln, ist einer der wenigen deutschen, nichtjüdischen, Hochschullehrer die Opfer des NS-Regimes wurden. Der erfahrene Sozialpolitiker und engagierte Katholik entsprach in mehrfacher Hinsicht NS-Feindbildvorstellungen.
Als Föderalist galt Schmittmann den Nationalsozialisten als Separatist und Gefährder der Reichseinheit. Für uns heute ist er jemand, der für die Grundprinzipien einer freiheitlichen Verfassung eingetreten ist.
Als Anhänger einer zentralen, nicht zentralistischen Staatsgewalt in einem friedlich vereinigten Europa stand Schmittmann deutschem Großmachtdenken und Expansionsgelüsten im Wege. Er trat für Völkerverständigung ein und lebte dies auch. Ihn verband z.B. eine enge Freundschaft mit französischen Intellektuellen. Als Generalreferent für das wallonische Kultusministerium im von Deutschland besetzten Belgien während des Ersten Weltkrieges versuchte er diesem Geiste folgend zu handeln. Der Belgische König dankte ihm für sein auf Verständigung abzielendes Handeln am Ende des Krieges.
Schmittmann gehört zu den wenigen bürgerlichen Politikern und Intellektuellen, die die Vision eines vereinigten Europa bereits in den 1920er Jahren vor Augen hatten. In seiner Schrift „Grundkräfte zur Neugestaltung Europas“, 1928 in Leipzig erschienen, erweist er sich als visionärer politischer Denker:
„Eine notwendige Vorstufe auf dem Wege zur Völkergemeinschaft“, so stellt er fest, „ist die Einigung Europas.“ (Ebd., S. 23)Aus seinem „Wohnsitz im Herzen Europas“, aus „seiner Geschichte und Tradition“ sei „dem deutschen Volke die Mission auferlegt, der Kern zu werden für die neu sich bildende Vielfalteinheit Europa.“ (Ebd., S. 28) „Die deutsch-französische Wirtschaftsverständigung“ sei „Haupterfordernis für den Wiederaufbau.“ (Ebd., S.10)
Schmittmann dachte allerdings bereits über eine Europäische Vereinigung hinaus, indem er deren zukünftige Gefahrenseite beleuchtete:
„Wenn Europa als politische Einheit aber nicht anders würde als ein verlängerter Staat im heutigen omnipotenten Sinne, dann wären die Scheidelinien, die die Menschheit trennen, nur an die Peripherie verlegt. Es würde sich dann im vergrößerten Maßstabe das wiederholen, was wir im Weltkrieg erlebt haben. <..>
Wir brauchen <…> zwei Organisationen, die ineinandergreifen: Einen europäischen Völkerbund, wie er sich aus dem Locarno-System entwickeln könnte und eine Weltorganisation, in der die übrigen kontinentalen Völkergruppen, das interkontinentale britische Weltreich, die Sowjetunion usw. mit einer europäischen Föderation zusammen ihre gemeinsamen Weltinteressen behandeln. <…>
Heute denken sich nur allzu viele Pan-Europa als einen Staatenbund, genauso imperialistisch wie die einzelnen Machtstaaten. <…> Das ist nur eine Verschiebung des Krieges auf erdteilgroße Ausmaße, also eine Steigerung, statt einer Minderung des Kriegswahnsinns. Nur eine Überwindung des machtstaatlichen Imperialismus an sich kann diesen Menschheitsfluch bannen und Europa zum ‚Glied’ einer Völkergemeinschaft machen. <…>
(S. 24 ff.)
Als Gründungsmitglied des Friedensbundes deutscher Katholiken 1919 im Rheinland war Schmittmann Nationalisten und Nationalsozialisten als Pazifist verhasst. So betrachtete man ihn bereits in der Weimarer Zeit als Staatsfeind und Vaterlandsverräter. So wurde Schmittmann im Sommersemester 1924 von „nationalgesinnten“ Studenten in der „Kölnischen Zeitung“ als patriotisch unzuverlässig diffamiert. (Lotz, S. 125)
Der völkische Student Werner Best (später Heydrichs Stellvertreter im Geheimen Staatspolizeiamt) horchte ihn bereits in der Weimarer Zeit unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und unter falschem Namen („Reichsgraf von Hohenthal“) aus. (Albert Lotz, S. 97)
Und auch staatlicherseits ging man gegen Schmittmann vor: Er und seine Frau Ella wurden bereits vor der NS-Machtübernahme vom dem Geheimen Sonderamt „zur Separatistenabwehr“ observiert, dass beim Kölner Regierungspräsident angesiedelt war. (A. Lotz, S. 187)
Aufgrund seiner Einstellung und seines konsequenten Eintretens für seine Ideale geriet Schmittmann sehr schnell in das Fadenkreuz der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik. Nachdem er im März 1933 in Rom weilte – und dort erfolglos den Papst vor der NS-Gefahr zu warnen suchte (die päpstlichen Mitarbeiter gaben ihm nur Gelegenheit zu einer kurzen Begegnung) – kehrte er nach Deutschland zurück. Hier empfing ihn bereits der Hass seiner Feinde und der Verfolgungseifer der „Volksgemeinschafts“-Ideologen.
In einem Brief von „Kölner Studenten“ vom 28. April 1933 an den Rektor der Kölner Universität wurde dieser „im Namen der nationalen Studentenschaft“ ersucht, bei der „Entlassung von ungeeigneten Professoren noch rücksichtsloser als bisher zu verfahren.“ (UAK 28/43, zitiert nach: Frank Golczewski, S. 192) Einen Tag später wurde Schmittmann und seine Frau in ihrem Wohnhaus am Kölner Sachsenring von einer großen Menschenmenge belagert. Scheiben wurden eingeworfen. Der Ruf wurde laut: „Separatistenschwein Schmittmann raus“. Schmittmann rief das Polizei-Überfallkommando. Dies überließ der SA für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen: Hausdurchsuchung - Beschlagnahmung seiner Schriften und Akten - mit seiner Frau von SA-Leuten auf einem offenen LKW den Gaffern „vorgeführt“, „Schutzhaft“.
Gleich am nächsten Morgen: Verhör – u.a. wegen Äußerungen gegen die deutsche Aufrüstung und den Panzerkreuzer A – aus dem Jahre 1930. (Albert Lotz, 1949, S. 37) Die NS-Presse legitimierte die auf die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz abzielenden Verfolgungsmaßnahmen im „Westdeutschen Beobachter“:
„Diesen ‚Professor’ hat sein Schicksal endlich ereilt, und wenn man jetzt ohne aufregende Umstände verschwindet, so kann man nur eines bedauern: daß die Universität Köln nicht schon früher von einem Manne befreit wurde, der unwürdig war, den Posten eines deutschen Hochschullehrers zu bekleiden. <…> Was er betrieb, war tatsächlich Separatismus und nichts anderes <…>.“ (WB, 02.05.1933)
Schmittmann saß bis zum 2. Juni 1933 in „Schutzhaft“. Ein Hochverratsverfahren, was man gegen ihn anstrengte, wurde 1934, ein Dienststrafverfahren 1936 eingestellt.
Doch die Gestapo behielt Schmittmann im Auge. Schmittmann, der Köln verlassen musste, lebte mit seiner Frau zurückgezogen in seinem Landhaus in Düsseldorf-Flehe (wo ihm vor wenigen Tagen würdevoll gedacht wurde). Der Geheimen Staatspolizei entging nicht, dass Schmittmann im Rhein-Ruhrgebiet geheime „Konventikel“ abhielt und für die katholische Soziallehre warb. Noch erhaltene Akten der Gestapo zeugen davon.
Dass Schmittmann in die „A-Kartei“ der Gestapo aufgenommen wurde, ist aufgrund seiner Einstellung und der Feindbildvorstellungen der Nationalsozialisten keineswegs überraschend, nicht jedoch selbstverständlich. In ihrem Verfolgungseifer wurden im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs der Gestapozentrale in Berlin von den Stapostellen im Reich viel mehr Personen benannt, die im Kriegsfall – auch ohne irgendwelche Aktivitäten – als „Staatsfeinde“ in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen zu verbringen seien, als dies realisierbar war. Die Gestapostelle in Köln musste z.B. auf Druck des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin ihre 1.119 Personen umfassende Kartei auf 436 Personen reduzieren. Tatsächlich wurden schließlich am 1. September 1939 nur 24 Personen in „Schutzhaft“ genommen. Dass Schmittmann bei der anschließenden Reduzierung des Personenkreises der A-Kartei in dieser verblieb, zeigt wie verhasst er dem NS-Regime war. Verschleppt in das KZ Sachsenhausen überlebte er das Lager nur wenige Tage.
Wofür Schmittmann damals eintrat, ist heute in vielen Punkten scheinbar zur selbstverständlichen Wirklichkeit geworden: Grundgesetz, Europäische Union, UN. Schmittmanns Vision von einem friedlichen, sich vereinigenden Europa in einer friedlichen Welt ist nur zum Teil Realität geworden. Seine Warnung vor imperialistischen Kriegen zwischen rivalisierenden Weltmächten ist leider immer noch aktuell – sie sollte uns Mahnung sein.
Wir gedenken Benedikt Schmittmann
als überzeugten Demokraten,
als mutigen Christen,
als tatkräftigen Sozialpolitiker,
als engagierten Hochschullehrer,
als Freund des Friedens,
als aufrechten Gegner des Nationalsozialismus und
als Vordenker eines vereinigten und friedlichen Europas –
der „Vielfalteinheit“ unseres Kontinents.