VORWORT
Jürgen Kocka, Vorsitzender des Fördervereins der Gedenkstätte und des Museums Sachenhausen e.V.
Die "Sachsenhausen Lectures" werden vom Förderverein der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen e.V. veranstaltet. Sie befassen sich mit dem Verhältnis zwischen historischem Gedenken und historischer Wissenschaft. Dies sind zwei verwandte, aber unterschiedliche Wege des Umgangs mit unserer Vergangenheit. Auf dem einen geht es um das öffentliche Gedenken und das private Erinnern an zentrale gemeinsame Ereignisse in der Vergangenheit; auf dem anderen um die wissenschaftliche Rekonstruktion, Analyse und Darstellung von Vergangenem mit Bezug auf Gegenwart und Zukunft. Das Gedenken ist selektiver, in der Regel auch emotionaler, oft mit symbolischen Handlungen verbunden. Die geschichtswissenschaftliche Analyse ist umfassender und distanzierter, sie verfährt nach den methodischen Regeln des Fachs. Gedenken und Geschichtswissenschaft sind vielfach verknüpft.
Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen ist ein Ort der Erinnerung an Opfer und Täter in der Zeit des Nationalsozialismus, dessen verbrecherischer Politik des Völker- und Massenmords hier zehntausende von Menschen aus mehr als 40 Ländern zum Opfer fielen. Sie ist auch ein Ort des Erinnerns an das sowjetische Speziallager Nr. 7/Nr. 1, in dem zwischen 1945 und 1950 Menschen aus verschiedenen Gründen - nicht nur NS-Täter und NS-Belastete - inhaftiert und verfolgt wurden, litten und starben. Sie ist ein zeithistorisches Museum mit besonderen bildungspolitischen Aufgaben.
Aber sie ist zugleich ein Ort der Forschung, an dem wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. So soll es gelingen, die erinnerungskulturelle Bedeutung des historischen Orts mit aktuellen Diskursen in Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verknüpfen. Die "Sachsenhausen Lectures" stehen in dieser Tradition. Sie bemühen sich, unterschiedliche Aspekte des Verhältnisses zwischen historischer Erinnerung und historischer Wissenschaft neu zu beleuchten und öffentlich zu diskutieren.
Die erste Sachsenhausen Lecture hielt 2016 der deutsch-amerikanische Historiker Konrad Jarausch. Er sprach über Eigenarten, Leistungen und Probleme der kritischen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik. Der Vortrag wurde unter dem Titel „Selbstkritik als Erinnerungskultur. Grundlage moralischer Politik in Deutschland?“ als eigene Broschüre veröffentlicht. Die zweite Sachsenhausen Lecture hielt der französisch-deutsche Historiker Étienne François 2017 zum Thema „Europa als Erinnerungsgemeinschaft“. Er wurde Anfang 2019 unter diesem Titel veröffentlicht. Exemplare beider Schriften sind weiterhin vom Förderverein zu beziehen.
Die dritte Sachsenhausen Lecture, deren für den Druck überarbeiteter Text hier vorgelegt wird, hielt der Historiker Bernd Faulenbach von der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen eines Kolloquiums, das am 8. Juni 2018 zum Thema „Erinnerungsarbeit im 21. Jahrhundert: Herausforderungen und Kontroversen“ in der Berliner Vertretung des Landes Brandenburg stattfand, anlässlich der Verabschiedung von Günter Morsch, dem langjährigen Leiter der Gedenkstätte und Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, in den Ruhestand. Bernd Faulenbach, der vielfach zu zeithistorischen Themen publiziert hat – u. a. zur Geschichte der SPD und zur Biographie Willy Brandts sowie zu Fragen der Geschichtskultur -, kennt die Entwicklung der Gedenkstätten in der Region aus erster Hand. Als Vorsitzender der Expertenkommission Brandenburgische Gedenkstätten und nachfolgend der Fachkommission der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wirkte er maßgeblich an ihrer Neuordnung seit 1991 mit. Er ist Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, der historische Erinnerungsarbeit an Nationalsozialismus und SED-Diktatur mit gegenwartsbezogenem Engagement in der Zivilgesellschaft verbindet. „Eine neue Erinnerungskultur? - Entwicklungslinien und Probleme der Gedenkstätten seit der Epochenwende 1989/90“ lautet der Titel des im Folgenden vorgelegten Vortrags über Grundfragen, zentrale Entscheidungen und Ausgestaltung der Gedenkstätten in den letzten Jahrzehnten, mit besonderer Berücksichtigung Brandenburgs. Ihre Bedeutung für die politische Kultur des vereinigten Deutschlands wird herausgearbeitet. Aber auch offene Fragen und ungelöste Probleme werden angeschnitten. Bernd Faulenbach hat die Geschichte der Gedenkstätten in den letzten Jahrzehnten wesentlich mitgeprägt. Im vorliegenden Vortrag zieht er Bilanz.
„Zur Zukunft der Erinnerung“ ist die „Sachsenhausener Erklärung“ überschrieben, die der Förderverein im Herbst 2018 als Beitrag zur erneut kontrovers gewordenen Gedenkpolitik in Deutschland erarbeitet und veröffentlicht hat. Die „Erklärung“ umschreibt, welchen Zielen sich der Förderverein verpflichtet fühlt. Sie wird im Anhang dieser Broschüre erneut abgedruckt.
Eine neue Erinnerungskultur? – Entwicklungslinien und Probleme der Gedenkstätten seit der Epochenwende 1989/90
Bernd Faulenbach
I. ZU THEMA UND FRAGESTELLUNGEN
In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten eine selbstkritische Erinnerungskultur herausgebildet, in deren Zentrum die Erinnerung an den Holocaust und die anderen NS-Verbrechen steht, die aber auch das Unrecht und die Verbrechen der kommunistischen Diktatur umfasst. Eine herausragende Rolle in dieser Kultur spielen diese an „authentischen Orten“, vor allem auf den Geländen früherer Konzentrationslager errichteten Gedenkstätten, die Ausdruck spezifischer Formen des Gedenkens und des historischen Erinnerns und Lernens sind, die sich in einem jahrzehntelangen Prozess herausgebildet haben und nach 1989/90 zum endgültigen geschichtspolitischen Durchbruch kamen. Sie stellen eine wesentliche Komponente der deutschen Erinnerungskultur der Gegenwart dar.
Diese Erinnerungskultur, die Maßstäbe auch für die internationale Diskussion geliefert hat – es ist mit leicht ironischem Ton von einer DIN-Norm des Gedenkens und Erinnerns gesprochen worden(1) – kann als ein institutionell abgestützter unabgeschlossener und unabschließbarer Prozess der Auseinandersetzung mit einer in vieler Hinsicht unvergleichlichen Geschichte begriffen werden. Bei der hier thematisierten – in den 1990er Jahren zunehmend ins Zentrum des Interesses rückenden – Gedenkstättenentwicklung und ihrer Kontexte soll es um Besonderheiten, Entwicklungsphasen und Probleme deutscher Erinnerungskultur seit der Epochenwende gehen.(2)
Zwar liegen manche Wurzeln dieser Erinnerungskultur in der Zeit der deutschen Zweistaatlichkeit, doch erhielt sie ihre gegenwärtige Formierung erst nach der Friedlichen Revolution und der Deutschen Vereinigung, d.h. nach dem Ende der DDR. Dies regt zur Frage nach dem Verhältnis der Erinnerungskultur zum Vereinigungsprozess an, insbesondere zum Transformationsprozess in der DDR und seiner Rückwirkung auf die alte Bundesrepublik. Inwieweit setzten sich Entwicklungen der alten Bundesrepublik fort, was wirkte aus der DDR nach, inwieweit entstand etwas Neues angesichts der veränderten Rahmenbedingungen und der unübersehbaren Aufgabe, sich auch mit der kommunistischen Diktatur und ihren Opfern auseinanderzusetzen? Es geht mithin um ein Stück Vereinigungsgeschichte und um die Frage einer gemeinsamen Erinnerungskultur der Deutschen in der Gegenwart.(3)
Zu den Rahmenbedingungen gehört, dass die Rolle des vereinigten Deutschland in Europa und in der Welt sich gegenüber der Zeit des geteilten Deutschland rasch wandelte und der reflektierenden Neubestimmung bedurfte. Inwieweit hatte dies Auswirkungen auf das nationale Selbstverständnis und die Erinnerungskultur?
Zugleich warf die deutsche Vereinigung eine Fülle geschichtspolitischer Fragen auf; insbesondere die Gedenkstättenentwicklung fungierte geradezu als Katalysator geschichtspolitischer Fragen:(4) Wie war mit der NS-Zeit und ihren Verbrechen umzugehen, wie mit der Diktatur in der DDR, und wie war ihr Verhältnis zu bestimmen? Was sollte vom DDR-Umgang mit dem Faschismus bzw. vom Antifaschismus bleiben?
Sollte die Totalitarismustheorie zentrale Interpretationsdoktrin deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts werden, was sie in Westdeutschland zeitweilig gewesen war?(5)
Zudem stellten sich nach 1990 in den Gedenkstätten zahlreiche Fragen zum Umgang mit den Geländen, Spuren und Bauten früherer Konzentrationslager, die in der DDR Orte gewesen waren, in denen der Antifaschismus als Vermächtnis und Auftrag zelebriert worden war und die in Westdeutschland – z. T. phasenverzögert und nicht in vergleichbarer Weise von staatlicher Seite gefördert – zu Orten der Erinnerung geworden waren, die sich teilweise im Gegensatz zum vorherrschenden Geschichtsbewusstsein definierten. In welchem Verhältnis sollten Gedenken, Ausstellungen von Dokumenten und Artefakten und Bildungsarbeit bzw. historisches Lernen stehen? Eine Vielzahl von Fragen wurde mehr oder weniger kontrovers diskutiert. Nur einige der Fragen können hier aufgegriffen werden.
Zunächst ist auf die geschichtspolitische Dimension der Umwälzung 1989/90 in Deutschland einzugehen. Um die Aufgabe der Neukonzeption einer gemeinsamen, doch differenzierten Gedenk- und Erinnerungskultur zutreffend zu erfassen, sind die west- und ostdeutschen Erinnerungslandschaften der 1980er Jahre knapp zu charakterisieren. In einem zweiten Teil ist die Entwicklung der 1990er Jahre zu beleuchten, in der vor dem Hintergrund einer intensiven Diskussion über die Bedeutung der neuesten Geschichte für die deutsche Gegenwart eine Neukonzipierung der Gedenkstätten in Ostdeutschland und teilweise auch schon in Westdeutschland begann und zur Entwicklung eines neuen Gedenkstättentyps im Kontext der gesamtdeutschen Erinnerungskultur führte. In einem dritten Teil sollen Tendenzen in der Folgezeit aufgegriffen werden, zu denen vor allem eine Internationalisierung der Diskussion über die Diktaturen und ihre Verbrechen im 20. Jahrhundert und ein weiterer Ausbau der Erinnerungskultur zu zählen sind. Abschließend sollen heutige Fragen aufgegriffen werden, nicht zuletzt die Frage nach der Zukunft des Gedenkens, der Gedenkstätten und des historischen Lernens, die weiterhin von der sich wandelnden jeweiligen politisch-gesellschaftlich-kulturellen Gegenwart abhängig sein werden und ihr Verhältnis zu den Vergangenheiten des 20. Jahrhunderts immer wieder neu bestimmen müssen.
II. DIE UMWÄLZUNG 1989/90 ALS HISTORISCHE ZÄSUR UND ALS GESCHICHTSPOLITISCHER KATALYSATOR
Die Jahre 1989-91 stellten eine historische Zäsur für Europa dar, die mit der Zäsur nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar und in mancher Hinsicht auch mit ihr verbunden war (manche Entscheidungen der Nachkriegsjahre wurden korrigiert, andere bestätigt). Die durch die Perestroika eingeleitete und im Jahre 1989 ganz Osteuropa erfassende Auflösung der kommunistischen Systeme bedeutete nicht nur das Ende des Ost-West-Gegensatzes der Gesellschaftssysteme und der Militärbündnisse, sondern auch die Auflösung der bisherigen staatlichen Strukturen und die Neubildung von Staaten in Ostmitteleuropa sowie die Wiederherstellung des deutschen Nationalstaates in Mitteleuropa. Dieser kehrte zwar nicht in der alten Gestalt wieder und verfügte nicht über die Souveränität der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts – insofern mag man mit Heinrich August Winkler vom „postklassischen Nationalstaat unter anderen“ sprechen(6), der die Überwindung der Nachkriegsordnung in Europa symbolisierte. Dass sich diese tiefgreifende Zäsur auf das deutsche Geschichtsbewusstsein zumindest längerfristig auswirken musste, liegt auf der Hand. Dass sie kurzfristig eine neue Gedenk- und Erinnerungskultur entstehen ließ, lag nicht zuletzt an den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen, die während der 1980er Jahre in Deutschland geführt wurden und seit 1989/90 in einer veränderten Konstellation nachwirkten und sich mit neuen Impulsen verbanden.
1. GESCHICHTSPOLITIK IN DEN BEIDEN DEUTSCHEN STAATEN WÄHREND DER 1980ER JAHRE
Die DDR betrachtete sich von Anfang an als der moralisch bessere deutsche Staat, der das Erbe des Antifaschismus pflegte. Die an den Orten früherer Konzentrationslager schon in den 1950er und frühen 1960er Jahren errichteten Nationalen Mahn- und Gedenkstätten rühmten den opferreichen, mit Hilfe der Sowjetmacht errungenen Sieg des Antifaschismus, der weitgehend mit dem kommunistischen Widerstand gleichgesetzt wurde. Die Erinnerung an diesen wurde in den Gedenkstätten auch während der 1980er Jahre noch gepflegt. Trotz mancher Auflockerungstendenzen im SED-Geschichtsbild und einer gewissen Öffnung für Dialoge mit dem Westen blieb allerdings bis zuletzt die Dimitroff-Definition des Faschismus verbindlich, nach der dieser die offene Diktatur des Finanzkapitals war, eine Formel, die völlig ungeeignet war, die NS-Politik zu erfassen, insbesondere um etwa den Judenmord in den Blick zu nehmen.(7)
In der Bundesrepublik war die geschichtspolitische Auseinandersetzung während der 1980er Jahre ungleich turbulenter und beschäftigte zunehmend breitere Teile der Öffentlichkeit und der Bevölkerung. Auslöser dieses neuen Interesses war die in den USA produzierte Fernsehserie „Holocaust“. Beeinflusst von west- und nordeuropäischen Vorbildern entstand eine neue Geschichtsbewegung, die „Geschichte von unten“ schreiben wollte und u. a. die „NS-Zeit vor Ort“, auch die Stätten des Terrors, in zahlreichen Projekten untersuchte. Ansätze zu einer neuen Erinnerungskultur entstanden, die von Initiativen, Geschichtswerkstätten, SPD-Ortsvereinen, gewerkschaftlichen Gruppen und VHS-Kursen getragen wurden.(8) Mancher Erinnerungsort entstand, so die nach kontroversen Diskussionen auf dem Gelände des Reichssicherheitshauptamtes in einem längeren Prozess errichtete Topographie des Terrors, in der ein Gedenkstättenreferat angesiedelt wurde, das bald eine wichtige Kommunikationsfunktion im westdeutschen und internationalen Zusammenhang wahrnahm.
Andererseits aber versuchte der seit 1982 als Kanzler einer CDU-FDP-Regierung amtierende Helmut Kohl das deutsche nationale Geschichtsbewusstsein zu revitalisieren, was aus konservativer Sicht eine Einhegung der NS-Zeit bzw. ihre Historisierung zu gebieten schien.(9) Die „von oben“ betriebene Gründung des Hauses der Geschichte in Bonn und des Deutschen Historischen Museums in Berlin wurde von der linksliberalen und sozialdemokratischen Öffentlichkeit als Versuch der Installierung eines offiziösen Geschichtsbildes heftig kritisiert, das der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit auszuweichen suche. Inwieweit diese Befürchtungen vorrangig Ausdruck eines verbreiteten Alarmismus waren oder durch ihre Artikulation derartiger Tendenzen geschwächt wurden, ist schwer zu entscheiden. Die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 stellte nach aufgeregter nationaler und internationaler Debatte klar, dass das Kriegsende eben auch den Deutschen Befreiung vom Nationalsozialismus gebracht hatte und umriss so die Position eines neuen aufgeklärten deutschen Bewusstseins, das sich der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg stellte. Dennoch war damit die öffentliche Debatte nicht beendet, wie der sog. Historikerstreit 1986/87 zeigte.(10) In diesem ging es erneut um die Gegenwartsbedeutung der NS-Zeit und um die Vergleichbarkeit der kommunistischen Verbrechen und der NS-Verbrechen. Es setzten sich dabei die Historiker weitgehend durch, die eine Einzigartigkeit des Holocaust herausstellten, der endgültig in das Zentrum des Interesses rückte und zur negativen Norm der Geschichtsbetrachtung wurde.(11)
Auch international spielte in den 1980er Jahren die Erinnerung an denZweiten Weltkrieg eine neue Rolle. So fanden spektakuläre Treffen der Alliierten zum Jahrestag der Landung in der Normandie 1984 und zum 8. und 9. Mai 1985 statt – die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust wurde verstärkt wiederbelebt. Insbesondere in den USA wurden Holocaust-Museen errichtet und eine Holocaust-Forschung aufgebaut.(12) Dies alles bildete den Hintergrund der deutschen Diskussionen, zu denen auch Ansätze eines Diskurses zwischen west- und ostdeutschen Historikern gehörten.(13)
2. GESCHICHTSPOLITISCHE IMPLIKATIONEN DER UMWÄLZUNG 1989/90
Es war eine komplizierte geschichtspolitische Konstellation, in der das SED-System und die anderen kommunistischen Systeme teils aus innerer Schwäche, teils unter dem Druck von Bürgerbewegungen überwunden wurden, die Mauer fiel und die Wiedervereinigung der Deutschen möglich wurde.
Gegen diese Vereinigung gab es freilich durchaus Widerstände, die sich aus den Erfahrungen der Geschichte speisten.(14) Margaret Thatcher rief Historiker zusammen und wollte von diesen wissen, ob die Deutschen sich geändert hätten. Auch François Mitterrand hatte Bedenken und stellte Bedingungen, etwa die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und die Weiterführung des europäischen Prozesses. Wichtige Politiker in Italien zogen auch jetzt die Zweistaatlichkeit einem wiedervereinigten Deutschland mit der Gefahr einer neuerlichen Hegemonie vor. Kritische Stimmen gab es nicht zuletzt in Polen (obgleich hier Solidarnosc-Anhänger sich teilweise anders positionierten) und in Israel, wo der israelische Ministerpräsident Jitzchak Schamir ein „Viertes Reich“ heraufziehen sah, das die früheren Reiche fortsetzen und damit auch die kritische Beurteilung der NS-Zeit aufgeben würde. Ähnliche Stimmen gab es auch in den USA, obgleich der amerikanische Präsident George H. W. Bush der wichtigste Verbündete für die deutsche Politik 1989/90 wurde. Es waren historische „Erfahrungen“ besonderer Art, die die „Erwartungen“ und Befürchtungen bestimmten.(15) Kritische Stimmen erhoben sich auch in Deutschland, eine war die von Günter Grass, der nur die Kulturnation pflegen wollte, doch aus historischen Gründen die staatliche Einheit ablehnte.
Die Umwälzung in der DDR führte zu Momenten, in denen es in besonderer Weise um Geschichte ging. So wurde noch einmal der Antifaschismus zur Verteidigung der DDR bemüht, ohne in dieser Situation noch viel zu bewirken, andererseits aber wurde bald klar, dass das Staatsbewusstsein der DDR ungleich schwächer ausgeprägt war als das der Bundesrepublik.(16) So plädierten zwar manche Bürgerrechtsgruppen teils aus idealistischen, teils aus realpolitischen Gründen zunächst für die reformierte DDR, doch schwenkte wohl die Mehrzahl von ihnen schon bald um, als beträchtliche Teile der Bevölkerung die DDR aufgaben. Das gesamtdeutsche Zugehörigkeitsbewusstsein war in der DDR tiefer verankert als im Westen und als viele im Westen annahmen.
Ein keineswegs unwichtiges Motiv im revolutionären Prozess in der DDR war die Entmachtung der Stasi, was die Sicherung der Stasiunterlagen zur Konsequenz hatte. Generell forderte die Volksbewegung durch ihre Sprecher, die Geschichte des SED-Systems mit ihren Prozessen und Verantwortlichkeiten transparent zu machen, wofür die entsprechenden Voraussetzungen rasch zu schaffen waren. Darüber wurde schon an den Runden Tischen und dann auch in der am 18. März 1990 gewählten Volkskammer diskutiert, die u. a. einen Stasiunterlagenbeauftragten wählte. Und nach der Vereinigung erfolgte dann – durchweg initiiert durch ostdeutsche, aus der Bürgerbewegung stammende Abgeordnete – auf gesamtstaatlicher Ebene die Gründung der Stasiunterlagenbehörde, der SAPMO (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR) und der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihrer Folgen.
Die 1989/90 mancherorts artikulierte Befürchtung, die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR werde die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte beenden und traditionelle nationalistische Politikmuster wieder aufleben lassen, bewahrheitete sich – wie schon hier festzustellen ist – nicht, im Gegenteil: die Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde der Rahmen für die Herausbildung von selbstkritischem historischen Gedenken und Lernen, vielfach als Gedenk- und Erinnerungskultur bezeichnet.(17) Geradezu konstitutiv für dieses Gedenken und Lernen sind die Gedenkstätten, die ihren eigentlichen Durchbruch in Deutschland – so meine These – in den ersten eineinhalb Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung erlebten; sie rückten von der Peripherie in das Zentrum der Erinnerungskultur.(18) Mit ihrem Durchbruch verbunden war sowohl die Errichtung der Gedenkstätte Topographie des Terrors auf dem Prinz-Albrecht-Gelände als auch die Entstehung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas im Zentrum Berlins, in der Nähe der alten und der neuen Machtzentralen. Hintergrund für die Entstehung dieser Erinnerungskultur war eine durch die Wiedervereinigung ausgelöste höchst intensive öffentliche Debatte über die deutsche Geschichte und Gegenwart(19), in der gehandelt wurde
- über die bleibende Bedeutung der NS-Zeit und der Verbrechen (obgleich die bisherigen öffentlichen Bemühungen um die Bewältigung der NS-Zeit unverkennbar durch die Zäsur historisiert und zum Gegenstand vielfältiger wissenschaftlicher Diskussion wurden),
- über die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und deren Verhältnis zur Aufarbeitung der NS-Zeit (ein Thema, das vor allem in der ersten Hälfte des Jahrzehnts viel Interesse auf sich zog),
- über das deutsche Selbstverständnis angesichts der Hypotheken der deutschen Geschichte, über die deutsche Rolle in Europa, die neu zu definieren war, und über die deutsche Zivilgesellschaft, die durch gewalttätige ausländerfeindliche Aktionen mit Abgründen deutscher Geschichte und Gegenwart konfrontiert wurde.(20)
Diese vielschichtige Debatte stimulierte die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte in der sich neu formierenden Erinnerungskultur.
III. DIE ENTSTEHUNG DER NEUEN ERINNERUNGSKULTUR IN DEN 1990ER JAHREN
Die 1990er Jahre waren in Deutschland in einem erheblichen Maße durch den schwierigen Vereinigungsprozess der beiden deutschen Staaten und ihrer Gesellschaften geprägt. Verschränkt damit war einerseits die kritische Beschäftigung mit der kommunistischen Diktatur, die auf vielen Ebenen stattfand: von der strafrechtlichen bis zur geschichtswissenschaftlichen „Aufarbeitung“. Andererseits trat die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in eine neue Phase, wie sich an einer Reihe von Debatten zeigte, so über den Film „Schindlers Liste“, über das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ des amerikanischen Historikers David Goldhagen, über die Wehrmachtsausstellung, in der es um die Beteiligung der Wehrmacht an den NS-Verbrechen ging (u. a.).(21) Bemerkenswerterweise kam es zur Entwicklung einer Erinnerungskultur, die sich weiterhin vornehmlich auf die NS-Zeit bezog, doch auch an den Opfern der kommunistischen Diktatur nicht vorbeiging, die freilich z. T. behaupteten, als „Opfer zweiter Klasse“ behandelt zu werden. Die Entstehung dieser Kultur mit vielfältigen Einrichtungen war nicht konfliktfrei, auch weil es um die Erinnerung an zwei Vergangenheiten ging, die von mehreren Aufarbeitungsszenen bewusst gemacht wurden. Zudem stellten sich dabei bestimmte Fragen, wie die nach dem Charakter der Speziallager in der SBZ, die von der Zeitgeschichte noch keineswegs hinreichend erforscht waren.
1. DIE NEUKONZEPTION DER GEDENKSTÄTTEN ZUR NS-ZEIT IN DER DDR UND IN DER ALTEN BUNDESREPUBLIK
In den beiden deutschen Staaten war man mit den Geländen und den baulichen Überresten der großen Konzentrationslager in der Nachkriegszeit unterschiedlich umgegangen.(22) Die SED baute in den 1950er Jahren Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen zu Nationalen Mahn- und Gedenkstätten aus, die an den opferreichen Kampf der Antifaschisten gegen Hitler erinnerten und immer auch der Legitimation des SED-Systems dienten, das sich auf diesen Kampf als historischer und ideeller Grundlage berief. In der Bundesrepublik gab es kein vergleichbares staatliches Engagement; zwar wurde das ehemalige Lager Bergen-Belsen schon in der frühen Bundesrepublik als Gedenkort betrachtet, doch eine den Einrichtungen in der DDR vergleichbare Gedenkstätte wurde in Dachau erst Mitte der 1960er Jahre eröffnet.(23) Hier engagierten sich die Häftlingsverbände, zugleich begriffen die Kirchen und die jüdische Gemeinschaft es als ihre Aufgabe, sich mit dem Geschehen in den Lagern auf ihre Weise auseinanderzusetzen, während die historisch-politische Dimension des Ortes nur verkürzt in den Blick kam. Kurz: es bestand eine ost-westdeutsche Asymmetrie, die politische Instrumentalisierung der Gedenkstätten in der DDR war offensichtlich, während die konkrete historisch-politische Auseinandersetzung im Westen eher gemieden wurde.
Um die künftige Gestaltung und Rolle der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten entbrannten 1990-1992 heftige Kontroversen, vor allem in Berlin, Brandenburg und Thüringen, doch auch in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit. Diese hatten z. T. konkrete Anlässe, wie den Bau eines Supermarktes an der Straße der Nationen zur Gedenkstätte in Ravensbrück, der in den Medien teils mit Prägungen durch den SED-Staat, teils mit dem Vordringen der westlichen Konsumideologie erklärt wurde. Gegenstand der Auseinandersetzungen waren aber auch die Speziallager, die 1945-50 u. a. in den NS-Konzentrationslagern in Sachsenhausen und Buchenwald vom NKWD eingerichtet worden waren, in denen Tausende Häftlinge umkamen und über die in der DDR nicht gesprochen werden durfte. Sie fanden nach dem Ende der DDR erhebliches Interesse; ihre Berücksichtigung in den Gedenkstätten wurde mit guten Gründen gefordert, besonders von den Stalinismusopfern, obgleich die Vergleichbarkeit dieser Speziallager mit den NSKonzentrationslagern zu Recht in Frage gestellt wurde.
Die von den Landesregierungen in Brandenburg und in Thüringen eingesetzten Kommissionen, von denen die brandenburgische auch ostdeutsche Mitglieder enthielt, während die thüringische ausschließlich aus westdeutschen Historikern bestand, hatten die Aufgabe, Vorstellungen für die Neukonzeption der Gedenkstätten zu entwickeln. Dagegen wandten sich Repräsentanten der bisherigen Staatspartei und der Verfolgtenverbände, die nicht nur die Existenz der Gedenkstätten verteidigten, sondern auch die bisherige Gestaltung für sakrosankt erklärten. Beide Kommissionen ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Weiterführung für unbedingt sinnvoll hielten, die Gedenkstätten jedoch eine weitgehende Überarbeitung erforderten, insbesondere eine Überwindung der ideologischen Enge durch differenzierte Annäherung an die Geschichte in den Ausstellungen, vor allem durch Würdigung der vielfältigen Opfergruppen sowie durch Hinweise auf die Täter und die deren Handeln ermöglichenden Strukturen und Prozesse. Die Kommissionen skizzierten Vorschläge für den Umgang mit den Geländen, für die Gestaltung der eigentlichen Gedenkorte, für die Ausstellungen sowie für die Bildungsarbeit, Vorschläge, die von den neuen Gedenkstättenleitungen teilweise modifiziert – in Sachsenhausen von Günter Morsch durch Entwicklung eines dezentralen Konzeptes – aufgegriffen wurden.(24) Es entstanden auf diese Weise Gedenkstätten neuen Typs, die stärker historischwissenschaftlich als politisch-geschichtspropagandistisch orientiert waren und bald auch Bedeutung für die Gedenkstättenentwicklung in Westdeutschland entwickelten. In DDR-Zeiten gegründet und gestaltet, wurden sie jetzt neu konzipiert, wobei die Herausforderungen der veränderten Gegenwart ernst genommen und die aktuellen zeithistorischen und didaktischen Diskurse aufgegriffen wurden. Es entstand dadurch etwas Neues.
Für die Neukonzeption der Gedenkstätten war konstitutiv , dass sie die Geschichte, die an diesen Orten stattgefunden hatte, samt ihrer Ursachen, Kontexte und Folgen ernst nahm, das Geschehen damit konkretisierte und historisierte, jedoch nicht relativierte. Anstatt der in der DDR üblichen Einengung auf den politischen, speziell den kommunistischen Widerstand entstand ein differenziertes Bild der verschiedenen Häftlingsgruppen, auch des Alltags, der Arbeit, der Leiden und des Todes der Menschen. Auch die Täter kamen damit zwangsläufig in den Blick, wie auch die Verfolgungszusammenhänge. Selbst die Umfelder, die Haltung der Bevölkerung, die ökonomischen Verschränkungen (SS-Betriebe, Industriebetriebe) und Ähnliches wurden nun beleuchtet. Die Dokumentation des Geschehens, die weit über die bis dahin vorherrschende z. T. nur symbolische Annäherung an die Geschichte hinausging, setzte eine Menge Forschungsarbeit voraus, die nach 1989 erst im Laufe der Jahre geleistet wurde und damit die Gedenkstätten zu einem „Work in Progress“ machten. Die veränderten Fragen entsprachen im Übrigen dem historiographischen Trend, der seit Mitte der 1970er Jahre den Subjekten und der Subjektivität in der Geschichte verstärkt Aufmerksamkeit widmete. Insbesondere der Opferbegriff begann in der Public History eine neue Bedeutung zu bekommen – bald sprach man von einer viktimologischen Sicht.(25) Es galt den Opfern Namen und Gesicht zurückzugeben.
Einen neuen Stellenwert erhielt in diesem Konzept der „authentische Ort“ mit seiner Topographie, das Gelände mit seinen baulichen Relikten wie den Sachzeugnissen und hier entstandenen Artefakten, die systematisch zu sammeln und auch in Ausstellungen neben Dokumenten und Fotos zu zeigen waren. Die Gedenkstätten näherten sich mit ihren Geländen und Ausstellungen „zeithistorischen Museen“ an, sie sind, wie Günter Morsch schon Anfang der 1990er Jahre hervorhob, zeithistorische Museen besonderer Art. Dass sie selbst nicht über der Geschichte stehen, sondern Ausdruck sich wandelnder Auseinandersetzung mit einer ungeheuerlichen Vergangenheit sind, findet seinen Niederschlag in Ausstellungsbereichen oder Sonderausstellungen, die der Geschichte der Gedenkstätte gewidmet sind. Besondere Fragen warfen Gedenkstätten auf, die an mehrere Vergangenheiten zu erinnern hatten und zu politischen Debatten über deren Verhältnis, Gewichtung und Bewertung führten.(26)
Trotz mancher retardierender Momente wurden die Gedenkstätten zu Bildungseinrichtungen mit einem zunehmend differenzierten Angebot – unterschiedlich nach Zeitrahmen, Themenschwerpunkten und Zielgruppen. Eine regelrechte Gedenkstättenpädagogik und -didaktik hat sich schrittweise herausgebildet. Führungen und Seminare klären seitdem über Geschichte auf, sollen aber auch der selbstständigen Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Zeit dienen. Im weiteren Sinne sind die Gedenkstätten offene Lernorte.
Bei der Jahre in Anspruch nehmenden Realisierung der Neukonzeption stellten sich eine Reihe von Fragen. Die Gedenkstätten wollten zwar die vorhandenen Gebäude und Spuren erhalten (was auch restaurative Maßnahmen einschließt), lehnten aber in der Regel die von verschiedenen Seiten geforderte Rekonstruktionen ab (sieht man von dem Sonderfall der Baracke 38 in Sachsenhausen ab, auf die ein rechtsradikaler Anschlag verübt worden war). Die mit der Rekonstruktion verbundene Hoffnung, die Situation im KZ wirklichkeitsnah wiederherstellen und Erfahrungen im KZ simulieren zu können, schien – jedenfalls aus der Sicht der meinungsführenden Sachverständigen – als Ziel abwegig und nebenbei gesagt auch unrealistisch.
In den großen Gedenkstätten in Ostdeutschland – Sachsenhausen, Buchenwald und Ravensbrück – war von Anfang an die Überlagerung verschiedener Zeitschichten (der NS-Zeit, der Zeit der Speziallager, der DDR) ein Problem, die jeweils Spuren hinterlassen hatten. Selbstverständlich stellt auch die DDR-Gestaltung – aus der Sicht des Denkmalschutzes – ein Denkmal dar. In sie wurde nur eingegriffen, wenn durch sie die Schicht des NS-Konzentrationslager verdeckt, verzerrt oder auf die Dauer zerstört wurde, wie dies bei der bisherigen Gestaltung der Station Z (Krematoriumsbereich) in Sachsenhausen der Fall war. Ihre Neugestaltung schützte nicht nur die Überrestes des Krematoriums, sondern ermöglichte auch die Schaffung eines neuen Gedenkrahmens. Als schwierig erwies sich auch der Umgang mit dem Zellenbau in Ravensbrück, dessen ausgesprochen nationale Gestaltungen zunächst einmal historisiert wurden, etwa durch Kennzeichnung des Entstehungszeitpunktes und der Urheber bzw. Verantwortlichen. Wohl die Mehrzahl der Häftlingsverbände hielt an den nationalen Erinnerungsräumen fest – die neu entstandenen Staaten forderten sogar eigene Erinnerungsräume.(27)
Ein besonderes Problem aber stellte die Berücksichtigung der „Speziallager“ in Buchenwald und Sachsenhausen dar, also der von der sowjetischen Besatzungsmacht betriebenen Lager, die sich von den Internierungslagern im Westen deutlich unterschieden. Eine wesentliche Schwierigkeit ergab sich aus der miserablen Forschungslage, die zu erheblicher Unsicherheit bei der Charakterisierung und Einordnung dieser Lager führte. Zeitzeugenberichte warfen jeweils Schlaglichter auf die Lager, deren Insassen nicht arbeiten durften und bis zu einem Drittel im Lager umkamen, in der Regel an Dystrophie, Unterernährung und Krankheiten starben. Als schwierig erwies sich die Analyse der Zusammensetzung der Häftlingsgruppen in diesen Lagern. Unter ihnen befanden sich lokale Honoratioren wie kleinere NS-Funktionäre, Jugendliche, die unter dem Verdacht standen, Werwölfe zu sein, doch auch Gegner der sowjetischen Besatzungspolitik sowie vollkommen willkürlich verhaftete Personen. Kurz: sie waren Opfer, doch hatte zumindest ein Teil eine besondere Nähe zum NS-System besessen. Manches sprach gleichwohl dagegen, die Lager als Konzentrationslager zu bezeichnen, wie das in der Nachkriegszeit im Westen vorherrschend gewesen war und von einigen auch nach 1989 wieder gefordert wurde.(28)
Wie schwierig die Einordnung dieser Speziallager und ihrer Häftlinge war, wurde etwa deutlich (so kann der Verfasser als Augenzeuge berichten), als Vertreter der Speziallagerhäftlinge und der Verfolgten des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei einer Anhörung der Kommission zur Neukonzeption der Brandenburgischen Gedenkstätten im Oktober 1991 aufeinandertrafen und sie offenbar Welten trennten. Eine gewisse Dämpfung der bald aggressiv werdenden Stimmung gelang mit Hilfe von Vertretern der Sozialdemokratie und der Evangelischen Kirche, die Opfer in beiden Lagertypen vertraten. Zur Pazifizierung trug die in dieser Situation vom Autor dieses Textes formulierte Formel bei, dass die NS-Verbrechen durch das Nachkriegsunrecht keineswegs relativiert, doch die Nachkriegsverbrechen auch nicht unter Hinweis auf die NS-Verbrechen bagatellisiert werden dürften.(29)
Die Speziallagerproblematik gebot einerseits intensive Recherche und Forschungsarbeit, andererseits eine grundsätzliche Beurteilung der Vergleichbarkeit der Verfolgungssysteme des Nationalsozialismus und des Kommunismus, über die die politisch-theoretischen Positionen auseinandergingen.(30)
Trotz der sehr differenzierten Vorschläge zur Berücksichtigung der Speziallager bei der Neukonzeption, die – etwa bezogen auf Sachsenhausen – sorgfältig jede Gleichsetzung vermied, entzündeten sich daran anfangs heftige Auseinandersetzungen, die teils eine Relativierung der NS-Verbrechen, teils eine Herabstufung der Häftlinge der Speziallager unterstellten.(31) Manche Vertreter der westdeutschen und Westberliner Aufarbeitungsszene wollten die Erinnerungskultur damals auf die NS-Vergangenheit begrenzen.
Ungeachtet der Auseinandersetzung in und um die Gedenkstätten wurden diese in den 1990er Jahren geradezu zu Leuchttürmen einer neuen Erinnerungskultur. Insbesondere wurden sie – nach jahrelangen politischen Bemühungen – in die Förderung des Bundes aufgenommen, zunächst die großen Gedenkstätten in den neuen Ländern, seit 2008 auch die Westdeutschlands, wobei die Finanzierung hälftig von Bund und Land aufzubringen ist. Zweifellos erreichten die Gedenkstätten damit eine weitgehende staatliche Anerkennung. Unbestreitbar stellt die 1999 eingeführte, 2008 novellierte Förderung nach den Regeln des Bundesgedenkstättenkonzeptes einen erheblichen Fortschritt dar; nicht zuletzt die Professionalisierung der Gedenkstättenarbeit und die wissenschaftliche Fundierung wurden damit vorangetrieben. Das Konzept ist nicht nur förderungspolitisch für die Einrichtungen eminent wichtig, sondern manifestiert auch die im Vergleich zur alten Bundesrepublik veränderte Haltung von Staat und Gesellschaft gegenüber den Gedenkstätten im vereinigten Deutschland.
Die Gedenkstätten wurden nun in der Regel unselbständige Stiftungen, idealiter mit Stiftungsvorstand (der Leitung der Stiftung), Stiftungsrat, in dem die Hauptträger Sitz und Stimme haben, Wissenschaftlichem Beirat sowie einem Beirat der internationalen und der nationalen Verfolgtenorganisationen.(32) Förder- und Freundeskreise wurden gegründet, die Sympathien des Umlandes und Unterstützung durch die Zivilgesellschaft einbrachten. Damit waren Rahmenbedingungen geschaffen, die einen unvergleichlichen Fortschritt für die Entwicklung unabhängiger Gedenkstätten darstellten. Allerdings rückten die Gedenkstätten damit stärker in den politischen Raum, mit der Gefahr, dass Konflikte, die es etwa zwischen den Repräsentanten der verschiedenen Vergangenheiten bzw. Aufarbeitungsszenen gab, die Politik auf den Plan riefen und deren Vertreter dazu tendierten, die Gedenkstätten als nachgeordnete Behörden zu begreifen und nach unmittelbar politischen Gesichtspunkten zu entscheiden (worauf gleich noch einmal zurückzukommen ist).
2. DIE AUFARBEITUNG DER KOMMUNISTISCHEN VERGANGENHEIT UND DIE ERINNERUNGSKULTUR
Die Aufarbeitung der – meist unter dem Begriff SED-Diktatur gefassten – kommunistischen Vergangenheit wurde in den 1990er Jahren, insbesondere in der ersten Hälfte, als neue wichtige Aufgabe betrachtet, die neben die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit trat. Diese verschwand aber nicht, sondern blieb immer präsent. Immer wieder ergaben sich Anlässe zur Bestimmung des Verhältnisses beider Aufarbeitungsprozesse.
Zweifellos profitierte die Aufarbeitung der SED-Diktatur in erheblichem Maße von der Tatsache, dass ihr eine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der NS-Zeit – so unzureichend sie auch im Einzelnen gewesen sein mag – vorausgegangen war. Vor allem im politischen Raum gab es das Argument, dass man die Fehler der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit – u. a. ihren verspäteten und halbherzigen Beginn – diesmal vermeiden müsse, wobei man implizit beide Vergangenheiten und ihre Aufarbeitung parallelisierte, was anfechtbar war. Rückblickend ist festzuhalten, dass ohne Wiedervereinigung und ohne die Notwendigkeit, sich mit der kommunistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, das Bundesgedenkstättenkonzept nicht entstanden wäre. Dessen Grundzüge wurden, unter Einbeziehung der NS-Zeit, für die insbesondere die Sozialdemokraten plädierten, von den Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erarbeitet und 1999 vom BKM konkretisiert.
Bei der kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur ging es zunächst vorrangig um die Klärung von Verantwortlichkeiten und um strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen von Terror und Unrecht, dann um die Rekonstruktion zentraler Fragen der Entwicklung und Struktur der Diktatur und der von ihr geprägten Gesellschaft, schließlich um die internationalen Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten sowie die deutsch-deutschen Beziehungen.(33) Doch richtete sich das Interesse bald auch schon auf das Gedenken und Erinnern, jeweils auf bestimmte Orte bezogen. So begann man – vorangetrieben zum Teil von ehemaligen Häftlingen – mit dem Aufbau von Gedenkstätten in den früheren Stasigefängnissen Hohenschönhausen und Bautzen, auf dem Gelände früherer „Speziallager“ wie in Teilen der früheren Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen oder auch im Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Leistikowstraße in Potsdam, um nur einige Beispiele zu nennen.(34) Errichtet wurden überdies die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, in der nur mit Mühe ein Stück Mauer erhalten werden konnte, sowie verschiedene Gedenkorte an der deutsch-deutschen Grenze, deren Verlauf schon nach einigen Jahren unsichtbar wurde. Kontroverse Diskussionen entwickelten sich hier – wie in Bezug auf die NS-Zeit – über den Umgang mit ausgesprochenen Täterorten, etwa mit der Stasizentrale. Das an den Beispielen von Sachsenhausen und Buchenwald schon angesprochene Problem sich an einem Ort überlagernder Diktaturvergangenheiten und ihrer Opfer stellte sich für eine ganze Reihe von Orten, insbesondere für Haftanstalten.(35)
Generell war das Verhältnis der Vergangenheiten zueinander und ihrer angemessenen Erinnerung ein viel erörtertes Problem der Gedenkkultur und des historischen Lernens. Dabei spielten nicht nur politiktheoretische, sondern z. T. auch richtungspolitische Momente eine Rolle. Kritisch aufzuarbeiten war insbesondere aus konservativer Sicht nicht nur das von der extremen Rechten angerichtete Geschehen, sondern eben auch das vom Linksextremismus zu verantwortende, während die gemäßigte Linke und der Linksliberalismus besonders die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit weiterführen wollten, sich jedoch keineswegs der Aufarbeitung der SED-Diktatur verschlossen. Dass die Totalitarismustheorie nur ein heuristisches Mittel war und konkrete historische Analyse nicht ersetzen konnte, wurde eher von der linken Seite des politischen Spektrums betont als von der rechten, die zur Gleichsetzung beider Diktaturen tendierte.(36) Nach der Jahrtausendwende wurde die Frage des Verhältnisses verstärkt zum Gegenstand der internationalen Diskussion.
Dass auch die kommunistische Zeit weitgehend im überparteilichen Konsens aufgearbeitet wurde, daran hatten eine unabhängige Zeitgeschichtsforschung, doch auch die gemäßigte Linke erheblichen Anteil, die den Aufarbeitungsprozess der Enquete-Kommissionen des Bundestages zur SED-Diktatur mittrug. Erleichtert wurde diese zunehmend konsensuale Entwicklung dadurch, dass nun auch die rechte Mitte nicht mehr auf einen Schlussstrich unter die NS-Zeit drängte. Zwar blieben Totalitarismustheorien strittig, doch verständigte man sich im politischen Raum auf einen antitotalitären Konsens, der von Karl-Dietrich Bracher bis zu Jürgen Habermas Unterstützung fand.(37)
Deutlich mag geworden sein, dass es während der 1990er Jahre bei den Diskussionen über den Umgang mit der jüngsten Geschichte nicht nur um konkrete Aufarbeitungsprozesse ging, sondern dass sich – vor allem durch die Wiedervereinigung – grundsätzliche Fragen deutscher politischer Existenz vor dem Hintergrund der deutschen und europäischen Geschichte stellten, deren Diskussion durch die Gedenkstättenarbeit vorangetrieben wurde und die im In- und Ausland auch im neuen Jahrtausend anhielt.
IV. ZUR WEITEREN ENTWICKLUNG DER DEUTSCHEN ERINNERUNGSKULTUR
Die deutsche Erinnerungskultur, die sich in den 1990er Jahren neu formierte, trat um die Jahrtausendwende in eine Konsolidierungsphase ein, was aber nicht heißt, dass sie stagnierte. Es charakterisierte die neue Phase, dass einerseits die Heftigkeit der Auseinandersetzungen um die Erinnerungskultur in Deutschland abnahm, und dass andererseits bestimmte Streitfragen wie die Bedeutung der NS-Zeit und des Holocaust oder auch die vergleichende Beurteilung der NS-Herrschaft und der kommunistischen Herrschaft (und ihre Bedeutung für die Erinnerungskultur) zu europäischen Themen wurden. Man denke an die Stockholmer Holocaust-Konferenz 2000, die von zahlreichen Regierungschefs besucht wurde oder auch an die Auseinandersetzung zwischen der früheren lettischen Außenministerin Sandra Kalniete und Salomon Korn vom Zentralrat der Juden in Deutschland, ob Nationalismus und Sowjetkommunismus „gleichermaßen verbrecherisch“ waren.(38) Geschichtspolitische Fragen wurden im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts
in den verschiedenen Ländern, zwischen Ländern und im Hinblick auf den europäischen Zusammenhang diskutiert.(39) Bezogen auf Deutschland ist festzustellen, dass sowohl die Kommunikation und die Zusammenarbeit der Gedenkstätten sich verstärkten, als auch die Erinnerungskultur weiter differenzierte, was nicht nur die Erinnerungsorte und Ausstellungen betraf, sondern auch die an Gewicht gewinnende Bildungsarbeit. Es ist auf Forschungs- und Recherchearbeit hinzuweisen, so auf die vielfältigen Publikationen der großen Gedenkstätten, z. B. Sachsenhausens. Diese wurden geradezu zu informellen Zentren zeithistorischer Forschung und Diskussion. In Verbindung mit der Arbeit der Gedenkstätten entwickelte sich eine Diskussion über Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur, an der Leiter und Mitarbeiter der Gedenkstätten wie auch aus Distanz urteilende Wissenschaftler (Historiker, Publizisten, Politiker u. a.) partizipierten.(40)
1. TENDENZEN DER NS-BEZOGENEN ERINNERUNGSKULTUR SEIT DER JAHRHUNDERTWENDE
Die jahrelange Diskussion über ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Zentrum Berlins führte im dritten Anlauf zu einem Bundestagsbeschluss, auf dessen Grundlage das Denkmal nach den Plänen von Peter Eisenman 2003-2005 südlich des Brandenburger Tores – als riesiges Stelenfeld und Ort der Information – aufgebaut und eingerichtet wurde.(41) In der Folgezeit entstanden in der Nähe weitere Denkmäler für Opfer, so für Homosexuelle wie für die ermordeten Sinti und Roma. Zu den strittigen Fragen gehörte das Verhältnis der Denkmäler zu den großen Gedenkstätten Berlins und seiner Umgebung, etwa zur Gedenkstätte Topographie des Terrors, zur Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wo 1942 die weitere Organisation der Ermordung der europäischen Juden beschlossen wurde, und zur Gedenkstätte Sachsenhausen vor den Toren der Stadt. Die Denkmäler mit ihrer hohen symbolischen Verdichtung erwiesen sich jedoch nicht als konkurrierende Einrichtungen zu den Gedenkstätten, die vorrangig das Geschehen am authentischen Ort anhand seiner Spuren und zusammengetragener Artefakte und Dokumente zeigen. Ergänzt durch zahlreiche Gedenkorte im ganzen Stadtgebiet bildeten Gedenkstätten und Denkmäler in Berlin schließlich eine vielfältige Erinnerungslandschaft, in der die großen Einrichtungen (zu denen außer den obengenannten noch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zählt) in einem lockeren Verbund mit Sekretariat im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, bei Veranstaltungen usw. zusammenarbeiten.
Die 1999 von der rot-grünen Bundesregierung auf der Grundlage von Vorschlägen der zweiten Enquete-Kommission beschlossene und 2008 von der Regierung der Großen Koalition novellierte Gedenkstättenkonzeption enthält ein geeignetes Instrumentarium, um die Gedenkstätten durch institutionelle oder projektförmige Förderung des Bundes und der Länder finanziell abzusichern und weiterzuentwickeln. Im Rahmen dieser Förderung wurden seit 2008 auch die großen Gedenkstätten im Westen – Bergen-Belsen, Dachau, Neuengamme und Flossenbürg – wie die ostdeutschen Gedenkstätten in die institutionelle Förderung aufgenommen, was auch den westdeutschen Gedenkstätten, die bis dahin von der Bundesseite nur im Rahmen der Projektförderung Unterstützung erhielten, neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete. Doch dass die ostdeutschen Gedenkstätten bei der Realisierung der Neukonzeption, die bisherigen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten als Rahmen nutzend, Maßstäbe gesetzt haben, wird man schwerlich bestreiten können. Ob die Unabhängigkeit der Gedenkstätten durch die institutionelle Förderung des Bundes tangiert wird, müsste konkret untersucht werden. Die Frage stellt sich aber in analoger Weise letztlich für jede öffentliche Kultureinrichtung, die vom Gesamtstaat gefördert wird.
Eine gewisse Eigengewichtigkeit hatten die Gedenkstätten inzwischen erreicht. Die Stimmen meinungsführender Gedenkstättenleiter wie Günter Morsch und Volkhard Knigge wurden in der Öffentlichkeit zu Fragen des Umgangs mit der NS-Vergangenheit durchaus gehört. Die intensive Kommunikation in der Gedenkstättenszene, in der es um Interpretationsfragen, Projekte und didaktische Fragen ging, implizierte jedoch ein wenig die Gefahr, dass der Gedenkstättenbereich ein gesonderter Bereich wurde, abgekoppelt von den Diskussionen der übrigen Gesellschaft und der Wissenschaft. Umso wichtiger waren wissenschaftliche Tagungen und öffentliche Veranstaltungen.
Für die Gedenkstätten in den „neuen Ländern“ stellten sich Fragen, die mit dem Erbe der DDR zusammenhingen. Hatten die neuformierten Gedenkstätten die DDR-Gestaltungen (jedenfalls was die Bauten angeht) im Wesentlichen beibehalten und sie zugleich als Denkmäler begriffen, so kam es auf die Dauer eben doch zu Problemen bei deren Erhaltung, wie das schon genannte Beispiel aus Sachsenhausen zeigt. Den gewaltigen Aufwand der Restaurierung der Überdachung der „Station Z“ aus DDR-Zeiten in Sachsenhausen scheuend, haben die Brandenburgischen Gedenkstätten – auf der Basis eines begrenzten Wettbewerbs – eine Neugestaltung realisiert, die der Erhaltung der Spuren und Überreste der NS-Zeit die Gestaltung aus DDR-Zeiten opferte, was zu Konflikten mit der Denkmalbehörde, doch auch zu großer Anerkennung auf nationaler und internationaler Ebene führte.
Im Übrigen wurde vielerorts nach weiteren Spuren des NS-Lagersystems gesucht, etwa von Außenlagern oder Zwangsarbeiterlagern. So wurden noch neue Gedenkorte geschaffen. Von Bedeutung war beispielsweise die Schaffung der Gedenkstätte Esterwegen, durch die eine Einrichtung entstand, die an das Geschehen und die Opfer nicht nur der frühen KZs im Emsland, sondern auch an die späteren Straf- und Kriegsgefangenenlager, in denen insbesondere im Kriege Tausende umkamen, erinnert.(42) Es wurde damit eine bis dahin bestehende Lücke bei der Aufarbeitung des KZ-Systems und des Verfolgungssystems in der Erinnerungskultur geschlossen, was als historistisches Bemühen um Vollständigkeit erscheinen mag, doch Ausdruck einer Erinnerungskultur ist, die möglichst umfassend und gleichzeitig konkret in dezentraler Weise an die NS-Zeit mit ihren Untaten erinnern möchte. So wurden auch Gedenkorte für vergessene Opfergruppen wie die Euthanasieopfer geschaffen.(43) Es war ein jahrelanger Prozess, in dem die ganze Breite der Opfergruppen der NS-Politik in der Erinnerungskultur Berücksichtigung fand, wobei es unübersehbar auch zu Konkurrenzen kam.
Vieles sprach auch nach der Jahrhundertwende für die Position von Günter Morsch, die Gedenkstätten nicht noch so berechtigten Zielen der Gegenwart zu unterwerfen und sie damit zu instrumentalisieren, sondern hier vorrangig das Geschehen am Ort zu erfassen und seine Spuren sorgfältig zu erhalten und durch Dokumentationsausstellungen darzustellen und einzuordnen. Unstrittig blieben dabei die Prinzipien des sog. Beutelsbacher Konsenses, der zwar bei Besuchen in Gedenkstätten Empathie zu wecken befürwortet, doch emotionale Überwältigungen ablehnt, vielmehr neben der emotionalen Ansprache auch die kognitive Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen fördern will. Dass neben der theoretischen Diskussion eine empirische Besucherforschung nötig ist, wurde zunehmend bewusst, bleibt bisher aber weitgehend ein Desiderat.
Dennoch kann man inzwischen von einer gewissen Selbstverständlichkeit ausgehen, mit der die Gedenkstätten als wichtige Einrichtungen der deutschen Gesellschaft und ihrer Kultur betrachtet werden. Während über Jahrzehnte diese Geschichte vergleichsweise abstrakt blieb, woran der von früheren Mitläufern geprägte Zeitgeist der Nachkriegsjahre Anteil hatte, ist der heutige gesellschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit dadurch charakterisiert, dass Gruppen inzwischen die Legitimität ihrer Anliegen dadurch zu begründen versuchen, dass sie auf ihre Verfolgung im Dritten Reich hinweisen, was gelegentlich zu Projektionen in die Geschichte führt.(44)
Trotz des zunehmenden Verschwindens der Zeitzeugen-Generation (der überlebenden Opfer, der Täter und der „bystanders“) – vielleicht aber auch wegen dieses Verschwindens – hat das Interesse an den großen Gedenkstätten in Deutschland – dies gilt für das deutsche, mehr noch für das ausländische Publikum – seit der Jahrtausendwende weiter zugenommen. Weit mehr als fünf Millionen Menschen besuchen jährlich die Gedenkstätten, mehr als 700.000 allein Sachsenhausen, mit steigender Tendenz. Die Gedenkstätten sind mehr und mehr internationale Einrichtungen geworden, was sich an den Anteilen der ausländischen Besucher ebenso ablesen lässt wie am Interesse von Repräsentanten ausländischer Regierungen. Dabei ist das Verhältnis zu den verschiedenen Ländern manchmal kompliziert, dies gilt z. T. für die ostmitteleuropäischen Länder, etwa die neuentstandenen, doch auch für Polen; politische Legitimationsbedarfe nach dem Ende der kommunistischen Systeme, nachgeholte Nationsbildung und ein neuer Nationalismus spielen dabei unverkennbar mit.(45)
2. DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER ANDEREN TOTALITÄREN VERGANGENHEIT ALS AUFGABE DER ERINNERUNGSKULTUR
Die Aufarbeitung der SED-Diktatur, die im ersten Jahrzehnt nach der Epochenwende auf allen Ebenen vorangetrieben wurde,46 war Ende der 1990er Jahre beträchtlich vorangeschritten, doch gewiss nicht abgeschlossen, sodass der Deutsche Bundestag die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gründete, die u. a. den zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsprozess und die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung fördern sollte.(47)
Damit wurden auch Fragen nach der Bedeutung der kommunistischen Vergangenheit in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur aufgeworfen. Wenige Jahre später hat dann das BKM (der/die Beauftragte für Kultur und Medien) eine Kommission unter Leitung des Potsdamer Historikers Martin Sabrow beauftragt, Empfehlungen zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ zu erarbeiten.(48) Die Kommission bejahte die Offenheit, Pluralität, Dezentralität und Autonomie der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, forderte jedoch eine verbesserte Vernetzung der Aktivitäten. Dazu regte sie ein „Forum Aufarbeitung“ an, das sich in Berlin mit „Herrschaft, Gesellschaft, Widerstand“ in der DDR – durch Ausstellungen, Veranstaltungen u. a. – auseinandersetzen sollte. Eine stärkere Zusammenarbeit schlug die Kommission auch für die Einrichtungen vor, die der Repression gewidmet waren und jetzt z. T. als Erinnerungsorte dienten (etwa die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße und das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen u. a.) sowie für die Mauerund Grenz-Museen und Gedenkorte, die vom Mauermuseum in Berlin koordiniert werden sollten. In den Vorschlägen spiegelte sich der Versuch, auch diesen Bereich zu ordnen und zu einem zeithistorisch und museologisch fundierten Teil der Erinnerungskultur zu machen.
Auch hier wurde der Vergleich zu den NS-Gedenkstätten zum Problem, etwa wenn in der Diskussion zur Novellierung der Gedenkstättenkonzeption gefordert wurde, statt der NS-Gedenkstätten die Gedenkstätten für Opfer kommunistischer Herrschaft vorrangig zu fördern49, eine Forderung, die verkannte, dass auch diese Orte – soweit geeignet – meist schon gefördert wurden, abgesehen davon, dass die Unterschiedlichkeit der Systeme eine schematische Parallelisierung in der Erinnerungskultur unmöglich machen. Immerhin kam es auch in diesem Bereich zu Neugründungen, deren Entwicklung jedoch nicht immer reibungslos ablief.(50) Schwierig war z. B. die Entwicklung der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam. Hier hatte der sowjetische Geheimdienst sein zentrales Untersuchungsgefängnis eingerichtet. Täter waren hier Menschen eines anderen Landes, Opfer aber – in den Jahren 1946-55 – vor allem Deutsche, die entsprechend sowjetischer Praxis wegen Spionage angeklagt, mit stalinistischen Mitteln verhört und zum Tode oder langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Erhebliche Gegensätze entstanden in der Gedenkstätte, als die für den Ausbau nötige Professionalisierung bei zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich vor Ort engagiert hatten, auf Widerstand stieß und sich etwa über die Frage der Kontextualisierung des Geschehens vor Ort und über die Motive der Häftlinge Meinungsverschiedenheiten verfestigten. Dahinter stand die Frage, wer in der Gedenk- und Begegnungsstätte die Deutungshoheit haben sollte, ein Konflikt, in den die Politik eingriff, was dem Gedanken der Stiftung widersprach.(51) In dem Konflikt zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen, zu denen auch ein Teil der Opfer tendierte, auf der einen Seite und Wissenschaft und museologischer Kompetenz auf der anderen Seite spielte der Vorwurf eine Rolle, dass das kommunistische Unrecht verharmlost werde, wenn Spionage und Kalter Krieg im Vordergrund stünden; es gelte vor allem Widerstandsmotive zu würdigen. Mittlerweile ist in Potsdam eine gute, die Kontexte einbeziehende Ausstellung entstanden, zu der die eindrucksvollen Entzifferung zahlreicher in die Wände der Haftzellen eingeritzter Botschaften von Häftlingen („Sprechende Wände“) gehört.(52)
Die Beurteilung der kommunistischen Verbrechen und ihre historische Einordnung sind auch international nach wie vor ein Thema. Auch wenn die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in ganz Osteuropa nach 1989 nur eine geringe Rolle gespielt und nur zu wenigen Verurteilungen geführt hat, hat sich doch nach dem Beitritt der ostmitteleuropäischen Staaten zur EU in ihnen viel Druck entwickelt, die Erinnerung an die kommunistischen Verbrechen, die in diesen Ländern zur Errichtung von vielfältigen sichtbaren Zeichen und Museen geführt hat,(53) als wesentliche Komponente des europäischen Geschichtsbewusstseins und Selbstverständnisses politisch durchzusetzen. So hat das Europäische Parlament 2009 in einem Grundsatzpapier („Entschließung des Europäischen Parlaments […] zum Gewissen Europas und zum Totalitarismus“) die europäischen Werte in Bezug auf ihre Negation durch die NS-Politik, doch auch durch die kommunistische Herrschaft und andere diktatorische oder autoritäre Systeme bestimmt.(54) Dazu passt, den 23. August, den Tag des Abschlusses des Hitler-Stalin-Paktes 1939, zum europäischen Gedenktag für die Opfer totalitärer System zu erklären, ein Beschluss, der in Westeuropa nicht aufgegriffen worden und z. T. auf Kritik gestoßen ist, etwa in der jüdischen Community.(55) In Deutschland ist zwar in den letzten Jahren (vor allem 2009) auf wissenschaftlichen Konferenzen über den Vertrag zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion gehandelt worden, doch hat sich der 23. August als Gedenktag nicht durchgesetzt – auch wenn es in den letzten Jahren an diesem Tag Veranstaltungen von Stalinismusopfern gegeben hat. Die Debatte über diesen Gedenktag mag man als Nebenkriegsschauplatz in der Auseinandersetzung um die geschichtspolitische Hegemonie in Europa begreifen, bei der es um die Gewichtung und Bedeutung von Holocaust und Archipel Gulag, von Nationalsozialismus und Kommunismus sowie um Möglichkeiten, beide zusammenzusehen, geht.
Resümierend ist an dieser Stelle festzustellen, dass die kommunistische Vergangenheit in der DDR (die unter dem Stichwort „SED-Diktatur“ erörtert wurde, was zunehmend jedoch auch das Leben in der DDR einschloss) in den 1990er Jahren ein wichtiges Themenfeld war, doch dann stärker in den Hintergrund trat, während die NS-Zeit in jeder Phase nach 1989 in Deutschland ein Thema blieb. Die Auseinandersetzung mit ihr ist für das deutsche Selbstverständnis zentral, wozu wohl Dispositionen aus beiden Gesellschaften beitrugen – obgleich der DDR-Antifaschismus im Wesentlichen nur noch in SED/PDS/Linkspartei weiterlebte. Die NS-Zeit war in der nach 1989 neu formierten Erinnerungskultur stets dominant, obgleich auch den Opfern der Repression in der SBZ/DDR Erinnerungsorte gewidmet wurden, etwa den Opfern von Mauer und Grenze. So war die Erinnerungskultur nicht frei von Spannungen.
Mit wachsendem Abstand vom historischen Geschehen ergibt sich dagegen die Gefahr, dass sich die Vergangenheiten des 20. Jahrhunderts für viele Besucher erinnerungskultureller Einrichtungen zu einer einzigen Gewaltgeschichte verbinden, was im Hinblick auf das historische Lernen bedenklich wäre, weil die Frage nach den genaueren Ursachen und Kontexten von Terror, Gewalt und Mord zugedeckt werden könnte. Dies führt zu Fragen der gegenwärtigen Diskussion.
V. GEGENWÄRTIGE FRAGEN ZUR DEUTSCHEN ERINNERUNGSKULTUR
Die deutsche Erinnerungskultur hat zwar ihre Wurzeln in der Nachkriegszeit, doch ist ihr gegenwärtiges Profil – so ist deutlich geworden – erst nach 1989 entstanden. Ihre Ausprägung wurde von einer intensiven Diskussion über die deutsche Geschichte, insbesondere über die Bedeutung der NS-Zeit, der kommunistischen Zeit in der DDR und der Zweistaatlichkeit beeinflusst. In ihr wird vor allem das – wie Reinhart Koselleck formuliert hat(56) – „negative Gedächtnis“ manifest. In seinem Zentrum stehen vielfältige Gedenkstätten, unter denen einige als Leuchttürme herausragen. Sie verbinden in der Regel Gestaltungen, die zum Opfergedenken auffordern, Ausstellungen, die die Einrichtungen zu zeithistorischen Museen besonderer Art machen, und eine differenzierte Bildungsarbeit, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Gedenkstätten dieser Art sind nie fertig: ständig sind Erhaltungsinvestitionen nötig, auch die Ausstellungen nach einiger Zeit (meist nach 10 bis 15 Jahren) zu erneuern und die Bildungsarbeit den jeweiligen Anforderungen anzupassen.
Einige aktuelle Probleme, die z. T. darauf hindeuten, dass sich die Bedingungen der Gedenk- und Erinnerungskultur gegenwärtig erheblich verändern, sind hier abschließend noch anzusprechen.
1. Das weitgehende Verschwinden der Zeitzeugen der NS-Zeit, nicht nur der überlebenden Opfer und der Täter, sondern auch all derjenigen, die die Zeit erlebt haben, verändert das Klima, in dem über die NS-Zeit gesprochen wird. Manches spricht dafür, dass die an authentischen Orten errichteten Gedenkstätten, die neben Fotos, Dokumenten usw. vielfach Zeitzeugenberichte präsentieren, eher an Bedeutung gewinnen als verlieren werden, dass aber die Entschlüsselung von Spuren und Dokumenten schwieriger wird und das Geschehen in eine größere Distanz rückt.
Das Verschwinden der Überlebenden und Zeitzeugen macht sich unmittelbar in der Besetzung von Beiräten der Gedenkstätten bemerkbar und lässt bei diesen die Frage entstehen, inwieweit an ihre Stelle Vertreter der nachfolgenden Generationen oder von Fördervereinen sowie Institutionen und Vereine von Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand treten könnten. – Gravierend ist diese Veränderung möglicherweise auch dadurch, dass einige der herausragenden meinungsführenden Leiter der Gedenkstätten, d. h. die Gründergeneration der 1990er Jahre – zu der Günter Morsch und Volkhard Knigge gehören – jetzt oder in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Dies könnte den Einschnitt vertiefen.
2. Die herausragenden Einrichtungen der Erinnerungskultur in Deutschland, insbesondere die großen Gedenkstätten, haben wachsende Besucherzahlen, was für kleinere Erinnerungsorte wohl nicht unbedingt gilt, deren Einrichtung zwar Interesse fand, doch erwies sich dieses nicht als dauerhaft. Die wachsenden Besucherzahlen großer Einrichtungen umfassen einen beträchtlichen Anteil (ausländischer) Touristen, deren Besuche nicht von vornherein abzulehnen sind, bei denen jedoch besondere Anstrengungen der Gedenkstätten und ihres pädagogischen Personals nötig sind, um Empathie für die Menschen und kognitives Interesse für das Besondere des Ortes und seiner Geschichte zu ermöglichen. Die touristische Trivialisierung der Besuche ist zu vermeiden. Zu reflektieren sind die unterschiedlichen Erwartungen und Prägungen der Besucher aufgrund generationeller Zugehörigkeit wie nationaler Herkunft, auch der europäische Zusammenhang. Zu kämpfen haben die Gedenkstätten heute meist nicht mehr mit völliger Unkenntnis, sondern mit klischeehaften Vorstellungen von Konzentrationslagern, Opfern und Tätern, die z. T. sogar aus fiktiven Welten stammen. Die Besucher müssen dafür gewonnen werden, sich für das Geschehen am Ort, insbesondere für das konkrete Schicksal der Menschen zu öffnen, für ein Geschehen, das in der Gegenwartsvorgeschichte liegt, doch überzeitliche Bedeutung hat.
Zunehmend werden nationale Ansprüche an die Gedenkstätten zum Problem, die sich in Forderungen nach nationalen Erinnerungsräumen und Denkmalen wie auch in Versuchen der Dominanz von Erinnerungsveranstaltungen manifestieren und erkennen lassen, dass der Nationalismus sich dieser Geschichte zu bemächtigen versucht. Dazu ist eine offene Diskussion nötig.
Dass die Gedenkstätten angesichts der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland zwangsläufig ihre Bedeutung verlieren, ist sehr fraglich. Die Flüchtlinge wandern gleichsam in „unsere Geschichte“ ein, d. h. in die Geschichte des deutschen Staates und die Geschichte der deutschen Nation, die sich nicht ethnisch eingrenzen lässt, sondern historisch-politisch zu definieren ist. Generell ist einer ethnisierenden Geschichtsbetrachtung entgegenzutreten. Die Vermittlung von deutschen historischen Erfahrungen gehört zu den keineswegs unwichtigen Aufgaben der Integration.
Auf jeden Fall sind die didaktischen Konzepte weiterzuentwickeln und die personelle Ausstattung der entsprechenden Abteilungen der Gedenkstätten zu verbessern. Im Vordergrund wird auch künftig das historische Geschehen und das Schicksal der Menschen stehen müssen. Projektionen in die Geschichte hinein, etwa von Gruppen, die in der Gegenwart um Anerkennung kämpfen, können nicht akzeptiert werden. Doch selbstverständlich ist im Kontext der Gedenkstätten auch eine Arbeit möglich, die von der Geschichte vor Ort ausgehend gegenwärtige Fragen aufwirft. Die Gedenkstättenarbeit darf nicht erstarren; Gedenkstätten müssen lebendige zeithistorische Museen besonderer Art und moderne offene Bildungsstätten sein.
3. Wie überall wird heute – der technisch-zivilisatorischen Entwicklung entsprechend – natürlich auch bei den Gedenkstätten nach dem Digitalisierungspotential gefragt. Keine Frage, dass der Internetauftritt Individuen wie Gruppen, Schulklassen, nicht zuletzt Lehrern usw. helfen, Besuche vorund nachzubereiten. Auch lassen sich vielfältige Möglichkeiten nutzen, zusätzliche Informationen bei Rundgängen bereitzustellen (etwa über Apps). Dennoch ist der banale Tatbestand zu betonen, dass gerade der authentische Ort und die unmittelbare Anmutung von Ort, Artefakten, Berichten und anderen zeitgenössischen Materialien in den Ausstellungen es letztlich ausschließen, durch virtuelle Besuche das Aufsuchen der Gedenkstätte überflüssig zu machen. Die Grenzen der Digitalisierung liegen im Wesen der Gedenkstätte, die durch den Ort und Sachzeugnisse konstituiert wird, die durch Ausstellungen und Bildungsarbeit erschlossen werden.(57)
4. In jüngerer Zeit gibt es ein „neues Unbehagen an der Erinnerungskultur“, so der Titel des 2013 von Aleida Assmann publizierten Buches.(58) Dieses Unbehagen artikuliert sich weniger bei Besuchern der Gedenkstätten oder den Leitern und Mitarbeitern der Gedenkstätten als in der Metadiskussion über die Erinnerungskultur (die relativ weit von der Praxis der Gedenkstättenarbeit entfernt ist). Das neue zivilgesellschaftliche Engagement in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik, das u. a. zur Aufarbeitung der NS-Zeit vor Ort, zur Einrichtung von Gedenkorten und Ähnlichem führte, war Ausdruck der Opposition gegen den vorherrschenden Umgang mit der Geschichte und Teil alternativer Geschichtssicht „von unten“. Dieses Engagement wies eine Frontstellung gegen die von konservativer Seite unternommenen Versuche auf, die NS-Zeit einzuhegen und ein eher traditionelles deutsches Nationalbewusstsein zu reetablieren. Dieses Engagement stand aber auch in Spannung zur etablierten Geschichtswissenschaft, ihrer Themenwahl, Perspektive und Methodologie, was für die politikgeschichtlich orientierte Zeitgeschichte wie auch für strukturfunktionalistische Ansätze gilt, denen man u. a. den Verzicht auf die Oral History und die unzureichende Beachtung der Subjektivität vorhielt, was teils überzogen war, teils aber zur Überprüfung bisheriger historiographischer Praxis führte. Die Tatsache, dass sich in den 1990er Jahren eine Erinnerungskultur in erstaunlicher Weise hat durchsetzen und entwickeln können, wird inzwischen von einigen jüngeren Intellektuellen – die Kritik an der 68er Generation, die angeblich die Urheberin und Hauptträgerin der Erinnerungskultur ist, spielt dabei eine Rolle – mit Unbehagen gesehen und als Versuch der Instrumentalisierung der NS-Zeit in der generationellen Auseinandersetzung gewertet.(59)
Mit den Kritikern mag man fragen, ob die Identifikation mit den Opfern nicht über Empathie hinausgeht und zu einer Aneignung von Identität führen kann, die illegitim ist. Auf berechtigte Kritik ist auch die Vorstellung des Holocaust als eines negativen Gründungsmythos des wiedervereinigten Deutschland gestoßen, die in den 1990er Jahren aufkam.(60) Instrumentalisierung der Erinnerungen zu Gunsten von politischen Zwecken, so begründet sie auch sein mögen, sind immer wieder ein Problem. Doch rechtfertigen sie schwerlich ein generelles Unbehagen an der Erinnerungskultur, wohl aber an konkreten Phänomenen der Erinnerungsarbeit, die stets der kritischen Selbstreflexion bedarf.
5. Gegenstand der Diskussion ist auch die Unabhängigkeit der Gedenkstättenarbeit, die immer wieder neu durchgesetzt werden muss – die Gedenkstätten brauchen gerade in fachlicher Hinsicht Unabhängigkeit von den staatlichen Institutionen. Diese haben zwar die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Gedenkstätten zu schaffen, doch sollten sie die Gedenkstätten nicht als nachgeordnete Behörden betrachten, im Gegenteil: sie haben ihre fachliche Unabhängigkeit sicherzustellen, die nicht selten im Namen der Anliegen bestimmter Betroffenen- und Opfergruppen aus der deutschen Gesellschaft oder auch von ausländischen Regierungen oder politisch-kulturellen Kräften in Frage gestellt werden, indem Forderungen erhoben werden, die entweder dem Forschungsstand widersprechen oder die Rechte anderer Opfergruppen verletzen.
Kritisiert wird auch, inzwischen sei – gefördert durch den heutigen Status der Gedenkstätten und durch die Professionalisierung der Mitarbeiter – in den Ausstellungen und Präsentationen das „Verstörende zu sehr eingeebnet worden“, und damit blieben „Anstößigkeit und Infragestellungen oftmals auf der Strecke“(61). Allerdings könnte dies auch mit der vielfältigen Erinnerungsarbeit und veränderten Sehgewohnheiten zusammenhängen, die auch Folgen des Erfolges der Erinnerungsarbeit sind. Wenn sich die Menschen auf das historische Geschehen einlassen – dazu müssen sie bewegt werden –, sind sie auch heute noch irritiert. Im Übrigen müssen sich einige Kritiker fragen lassen, ob es ihnen wirklich vorrangig um historisches Bewusstsein geht, das mit demokratischem Verantwortungsbewusstsein verbunden ist oder vielmehr um Geschichte als Mittel der Gesellschaftskritik. – Doch keine Frage: Gedenkstätten dürfen nicht in Ritualen und Routinen erstarren, bedürfen prinzipiell immer wieder der Reflexion, Diskussion und Erneuerung, dementsprechend macht auch ihre kritische Historisierung Sinn wie auch die diskursive Begleitung der Erinnerungskultur in der intellektuellen und breiteren Öffentlichkeit. Nicht zuletzt müssen die Gedenkstätten zum Weiterdenken über Geschichte, Gegenwart und Zukunft anregen.
6. Die deutsche Erinnerungskultur seit den 1990er Jahren gründete sich zunehmend auf einen recht breiten antitotalitären Konsens, der freilich Gegensätze in kulturpolitischen Projekten nicht ausgeschlossen hat. Doch stellt sich die Frage, ob sich – ungeachtet eines Schubs internationaler Diskussion über Erinnerungsfragen nach der Jahrtausendwende – ein neuer Nationalismus, der in vielen Ländern auf dem Vormarsch ist, auch in Deutschland zu einer Verschiebung der Wertmaßstäbe führen könnte. Das Wiedererstarken des Nationalismus könnte sich – wie manche fürchten – tatsächlich auch auf den öffentlichen Umgang mit Geschichte auswirken, was die Erinnerungskultur zweifellos tangieren würde.
Jedenfalls hat Herr Höcke, der Vorsitzende des AfD-Landesverbandes Thüringen, eine 180-Grad-Wende der Erinnerungspolitik gefordert, der er Stolz auf die nationale Schande unterstellt hat. Offensichtlich steht er damit nicht allein. So sind auch die Äußerungen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland über die NS-Zeit als einen „Vogelschiss“ gegenüber der deutschen Geschichte als Ganzer mehr als bedenklich, weil sie auf eine groteske Bagatellisierung der NS-Zeit und ihrer Verbrechen hinauslaufen und das vorherrschend negative Urteil über den Nationalsozialismus relativieren. Das Verhältnis der AfD zur Gedenk- und Erinnerungskultur und zum historischen Lernen scheint – wie einige Besuche von Anhängern der Partei zeigen – durch Distanz und Ablehnung bei gleichzeitiger Nähe zu revisionistischen Positionen geprägt zu sein; der Umgang mit der Erinnerungskultur ist sicherlich ein wichtiger Indikator für die Haltung der Partei zum Wertesystem des Grundgesetzes. Manches scheint darauf zu verweisen, dass von der Rechten her die Legitimation der deutschen Erinnerungskultur, die in den 1990er Jahren zunehmend breite Anerkennung fand, wieder in Frage gestellt werden könnte, obgleich man sich naturgemäß vor „self-fulfilling prophecies“ zu hüten hat.
Wir werden den demokratischen Konsens, der sich seit den 1990er Jahren herausgebildet hat, auch im Zeitalter der Social Media verteidigen müssen, wofür es gute Gründe gibt. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Gedenk- und Erinnerungskultur zu den inzwischen selbstverständlichen, weitgehend konsensualen Grundlagen unserer politischen Kultur zu zählen ist. Sie erinnern an Geschehnisse, die erkennen lassen, wohin es führt, wenn Menschen- und Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und demokratische Partizipation außer Kraft gesetzt sind. Ex negativo begründen sie Demokratie, deren Geschichte neuerdings auch unmittelbar zu einem Gegenstand der Erinnerungskultur wird.62 Selbstverständlich ist eine Weiterentwicklung dieser Kultur nötig, deren europäische Vernetzung eine wichtige Aufgabe bleibt, die auf dem Hintergrund von wachsendem Nationalismus jedoch nicht einfacher geworden ist, wie sich am Erlahmen europäischer Bemühungen um eine die nationalen Erinnerungskulturen ergänzende europäische Erinnerungskultur zeigt. So verbindet sich die – trotz mancher berechtigter kritischer Fragen – positive Bilanz, die hier gezogen worden ist, mit Sorge über Tendenzen der Zeitläufte, mit denen wir uns seit einigen Jahren konfrontiert sehen. Die Erinnerungskultur wird es womöglich in Zukunft schwerer haben als in den letzten drei Jahrzehnten. Doch hängt einiges auch von ihr selbst ab bzw. von den politischen und gesellschaftlichen Kräften, die sie tragen. Ihre politisch-kulturelle Relevanz war jedenfalls nie größer.
Anmerkungen
(1) Timothy Garton Ash, Vier Wege zur Wahrheit. Eine Zwischenbilanz, in: Die ZEIT, 3. Oktober 1997, S. 44; Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2013, S. 58 f.
(2) Die Literatur in diesem Arbeitsfeld ist ziemlich unüberschaubar. Grundlegend für die Vorgeschichte Peter Reichel, Politik der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München 1995. Die Diskussion wird begleitet durch den seit 1983 erscheinenden, von Thomas Lutz redigierten Gedenkstättenrundbrief. Verschiedentlich wurde versucht, die Entwicklung zu bilanzieren, so von Detlef Garbe (siehe Anmerkungen 18 und 61).
(3) Der Verfasser schreibt den Beitrag als Zeithistoriker, möchte jedoch nicht verschweigen, dass er an den hier beleuchteten geschichtspolitischen Vorgängen als Mitglied einer Reihe von Gremien beteiligt war, was seine retrospektiven Einsichten, Perspektiven und Urteile beeinflusst haben mag. So war er 1991/92 Vorsitzender der Expertenkommission Brandenburgische Gedenkstätten, danach Vorsitzender der Fachkommission der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und gehörte seit 2000 ein Jahrzehnt auch der Kommission Gedenkstätten des BKM an. In den 1990er Jahren war er sachverständiges Mitglied der beiden Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und zur Bewältigung ihrer Folgen und zudem von 1989 bis 2018 Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD.
(4) Andrew H. Beattie, Gedenkstätten als Katalysatoren geschichtspolitischer Konflikte. Umstrittene Erinnerung und Konkurrenz der Opfer, in: Enrico Heitzer, Günter Morsch, Robert Traba, Katarzyna Woniak (Hg.), Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus? Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen, Berlin 2016, S. 84-94.
(5) Vgl. Bernd Faulenbach, Zum Umgang mit dem Totalitarismus-Begriff vor und nach 1989, in: Lucia Scherzberg (Hg.), „Doppelte Vergangenheitsbewältigung“ und Singularität des Holocaust, Saarbrücken 2012, S. 113-133.
(6) Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, München 2000, S. 655.
(7) Vgl. Susanne Miller/Malte Ristau (Hg.), Erben deutscher Geschichte. DDR - BRD: Protokoll einer historischen Begegnung, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 162 ff.
(8) Vgl. Hannes Heer/Volker Ullrich (Hg.), Geschichte entdecken. Erfahrungen und Projekte der neuen Geschichtsbewegung, Hamburg 1985.
(9) Vgl. Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. 1982-1990, München 2006, S. 473 ff., 485 ff.
(10) „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der Nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987.
(11) Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München 1988, S. 11: Von vielen werde die Vernichtung der Juden Europas „als der höchste Maßstab des Bösen wahrgenommen, an dem sich alle Grade des Bösen messen lassen.“ Das Trauma des Holocaust wurde in der deutschen (und z. T. der westlichen) Erinnerungskultur zu einer „normativen Vergangenheit“, die nicht mehr vergehen soll (Aleida Assmann, Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte, München 2008, S. 47).
(12) Siehe Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, München 2001.
(13) Siehe z. B. die Dokumentation der von der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD 1987 veranstalteten, eine große Resonanz hervorrufende Konferenz west- und ostdeutscher Historiker: Miller/Ristau (Hg.), Erben deutscher Geschichte (Anmerkung 7).
(14) Vgl. Andreas Rödder, Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009, S. 147 ff.
(15) Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 349 ff.; ders., Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Volkhard Knigge/Norbert Frei (Hg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32.
(16) Vgl. Bernd Faulenbach, Die DDR als antifaschistischer Staat, in: Rainer Eckert/Bernd Faulenbach (Hg.), Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild, München 1996, S. 47-68, insbes. S. 60 ff.
(17) Vgl. Bernd Faulenbach, „Weltmeister“ der Aufarbeitung? Zum deutschen Umgang mit zwei Diktaturen, in: Deutsche Mythen seit 1945. Bielefeld/Berlin 2016, S. 108-123.
(18) Vgl. Detlef Garbe, Von der Peripherie in das Zentrum der Geschichtskultur. Tendenzen der Gedenkstättenentwicklung, in: Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hg.), „Asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte?“ Die Geschichte der Bundesrepublik und der DDR in Ausstellungen, Museen und Gedenkstätten, Essen 2005, S. 59-84.
(19) Nach Einschätzung von Ulrich Herbert waren die fünfzehn Jahre nach 1990 „die Phase der intensivsten öffentlichen Debatten über die NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit“ (Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 1193).
(20) Ausdruck dieser Aktualisierung war z. B. die Gründung des zivilgesellschaftlichen Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ im Jahre 1993. Vgl. Kristina Meyer, Die SPD und die NS-Vergangenheit
1945-1990, Göttingen 2015, S. 499-500; Johannes Rau/Bernd Faulenbach (Hg.), Heinz Putzrath. Gegen Nationalsozialismus - Für soziale Demokratie, Essen 1997.
(21) Siehe Julius Schoeps (Hg.), Ein Volk von Mördern? Eine Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust, Hamburg 1996; Hans-Günther Thiele (Hg.), Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse, Bonn 1997; vgl. Bernd Faulenbach, Konkurrierende Vergangenheiten?, in: Deutschland Archiv 37, 2004, S. 648-659.
(22) Vgl. Bernd Faulenbach, Erinnerung und Politik in der DDR und in der Bundesrepublik. Zur Funktion der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, in: Deutschland Archiv 30, 1997, S. 599-606.
(23) Zur Entwicklung von Dachau vgl. Barbara Distel, Gedenkstätten als Orte zivilgesellschaftlicher Praxis. Das Beispiel der KZ-Gedenkstätte Dachau, in: Heitzer u. a. (Hg.), Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus?, S. 28-34.
(24) Empfehlungen der Expertenkommission zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten, Januar 1992, hrsg. vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Berlin August 1992. Wieder abgedruckt in: Brandenburgische Gedenkstätte für die Verfolgten des NS-Regimes. Perspektiven, Kontroversen und internationale Vergleiche, hrsg. v. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Berlin 1992, S. 215-265; zu Buchenwald siehe: Zur Neuorientierung der Gedenkstätte Buchenwald: die Empfehlungen der vom Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Thüringen berufenen Historikerkommission, Weimar-Buchenwald 1992. Vgl. auch Bernd Faulenbach, Die Emig-Tafel. Konkurrierende Erinnerungen, in: Vom Monument zur Erinnerung. 25 Jahre Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in 25 Objekten, hrsg. v. Ines Reich im Auftrag des Förderkreises der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen e.V., Berlin 2017, S. 20-29.
(25) Vgl. Martin Sabrow, Zeitgeschichte schreiben. Von der Verständigung über die Vergangenheit in der Gegenwart, Göttingen 2014, S. 216 ff.
(26) Thomas Lindenberger, Governing Conflicted Memories. Some remarks about the Regulations of History Politics in Unified Germany, in: Muriel Blaive/Christian Gerbel/Thomas Lindenberger (Eds), Clashes in European Memory. The Case of Communist Repression and the Holocaust, Innsbruck/Wien/Bozen 2011, S. 73-87; Beattie, Gedenkstätten als Katalysatoren geschichtspolitischer Konflikte; Caroline Pearce, Der Umgang mit der „doppelten“ Vergangenheit in den deutschen Gedenkstätten seit 1990, in: Gedenkstätten und Geschichtspolitik. Beitrag zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 16, Bremen 2015, S. 62-74.
(27) Siehe Bernd Faulenbach, Fragen der Gedenkstättengestaltung heute. Der „Zellenbau“ in Ravensbrück als Beispiel, in: Insa Eschebach/Sigrid Jacobeit/Susanne Lanwerd (Hg.), Die Sprache des Gedenkens. Zur Geschichte der Gedenkstätte Ravensbrück 1945-1955, Berlin 1999, S. 120-126; Insa Eschebach (Hg.), Ravensbrück. Der Zellenbau. Geschichte und Gedenken. Begleitband zur Ausstellung, Berlin 2008.
(28) Zur Geschichte des Umgangs mit den sowjetischen Speziallagern vgl. Petra Haustein/Anna Kaminsky/Volkhard Knigge/Bodo Ritscher (Hg.), Instrumentalisierung, Verdrängung, Aufarbeitung. Die sowjetischen Speziallager in der gesellschaftlichen Wahrnehmung 1945 bis heute, Göttingen 2006. Zur Diskussion nach 1989 vgl. Faulenbach, Die Emig-Tafel (Anmerkung 24).
(29) Vgl. Empfehlungen zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten Januar 1992 (Anmerkung 24) S. 53; Bernd Faulenbach, Konkurrierende Vergangenheiten? Zu den aktuellen Auseinandersetzungen um die deutsche Erinnerungskultur, in: Deutschland Archiv 37, 2004, S. 29-56; Petra Haustein, Geschichte im Dissens. Die Auseinandersetzung um die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR, Leipzig 2006.
(30) Vgl. Bernd Faulenbach, Die doppelte „Vergangenheitsbewältigung“. Nationalsozialismus und Stalinismus als Herausforderungen zeithistorischer Forschung und politischer Kultur, in: Jürgen Danyel (Hg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S. 107-124.
(31) Siehe Stefanie Endlich, Die Diskussion des Colloquiums - Versuch einer Zusammenfassung, in: Brandenburgische Gedenkstätten für die Verfolgten des NS-Regimes (Anmerkung 24), S. 184-200; Bernd Faulenbach, Zu den Schwierigkeiten eines Diskurses über die Neukonzeption von Gedenkstätten, ebd. S. 200-204. Vgl. Bernd Faulenbach, Von der Gegenwärtigkeit des Vergangenen. Zur Neukonzeption der Gedenkstätten in der ehemaligen DDR, in: Weltspiegel. Sonntagsbeilage des Tagesspiegel am 7.2.1993, S. 1. Zur Diskussion über die Speziallager in Deutschland vgl. die Literaturverzeichnisse bei Haustein u. a. (Hg.), Instrumentalisierung, Verdrängung, Aufarbeitung, S. 271-297; Bettina Greiner, Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland, Hamburg 2010, S. 481-518.
(32) Vgl. die Vorschläge der Kommission in Brandenburg: Empfehlungen zur Neukonzeption der Brandenburgischen Gedenkstätten Januar 1992, S. 45.
(33) Zum Aufarbeitungsprozess siehe Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, hrsg. vom Deutschen Bundestag, 18 Bde., Baden-Baden/Frankfurt a. M. 1995; Materialien zur Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit", 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, hrsg. vom Deutschen Bundestag, 14 Bde., Baden-Baden/Frankfurt a. M. 1999.
(34) Vgl. Anna Kaminsky (Hg.), bearbeitet von Ruth Gleinig, Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, Leipzig 2004; Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2016.
(35) Vgl. Günter Morsch/Sylvia de Pasquale (Hg.), Perspektiven für die Dokumentationsstelle Brandenburg, Münster 2004.
(36) Zur Rolle rechter und linker Interpretationen vgl. Jürgen Habermas, Die Bedeutung der Aufarbeitung der beiden deutschen Diktaturen für den Bestand der Demokratie in Deutschland und Europa, in: Materialien der Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, Bd. IX, S. 686-694, hier S. 689.
(37) Siehe Materialien der Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur, Bd. IX, S. 676-749.
(38) Vgl. zur Stockholmer Konferenz Michael Jeismann, Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Stuttgart/München 2001, S. 139 ff., zum Streit Kalniete - Korn Bernd Faulenbach, Eine europäische Erinnerungskultur als Aufgabe? Zum Verhältnis gemeinsamer und trennender Erinnerungen, in: Silke Flegel/Frank Hoffmann/Evelyn Overhoff, Von der Osterweiterung zur Europäischen Nation?, Bochum 2004, S. 91-112, hier S. 105 ff. Zum Wandel der Erinnerungskulturen in Europa seit 1989 vgl. Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hg.), „Transformationen“ der Erinnerungskulturen in Europa nach 1989, Essen 2006.
(39) Vgl. Katrin Hammerstein/Birgit Hoffmann, Europäische Interventionen. Resolutionen und Initiativen zum Umgang mit diktatorischer Vergangenheit, in: Katrin Hammerstein/Ulrich Mählert/Julie Trappe/Edgar Wolfrum (Hg.), Aufarbeitung der Diktatur - Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse bei Umgang mit diktatorischer Vergangenheit, Göttingen 2009, S. 189-203; Bernd Faulenbach, Die europäische Umwälzung von 1989 und ihre Bedeutung für die nationalen Erinnerungskulturen, in: „Wir sind das Volk“. Freiheitsbewegungen in der DDR 1949-1989, Rastatt o. J. [2011], S. 77-84; Claus Leggewie, Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt, München 2011; Aleida Assmann, Auf dem Weg zu einer europäischen Erinnerungskultur? Wien 2012; dies., Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte, München 2018.
(40) Die Diskussion der Praktiker und Theoretiker der Gedenkstättenarbeit spiegelt sich im - vom Gedenkstättenreferat der Topographie des Terrors herausgegebenen - regelmäßig erscheinenden Gedenkstättenrundbrief, auch in den Dachauer Heften und nicht wenigen Monographien und Sammelbänden.
(41) Vgl. Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales „Holocaust-Mahnmal“ für die Berliner Republik, Köln/Weimar/Wien 2003; Michael S. Cullen, Das Holocaust-Mahnmal. Dokumentation einer Debatte, Zürich 1999.
(42) Siehe dazu Bernd Faulenbach/Andrea Kaltofen (Hg.), Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933-1945, Göttingen 2017.
(43) So in Brandenburg, vgl. Astrid Ley/Annette Hinz-Wessels (Hg.), Die Euthanasieanstalt Brandenburg an der Havel. Morde an Kranken und Behinderten im Nationalsozialismus, Berlin 2012.
(44) Ein Beispiel ist dafür die Frage, inwieweit die Lesben wie die Schwulen verfolgt worden sind, eine Frage, die geeignet ist, geradezu den Schwulen- und Lesbenverband zu spalten. Der Streit kann dabei nicht durch Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern oder durch Nachweis der Legitimität des Gruppenanliegens in der Gegenwart entschieden werden, sondern nur durch die quellengestützte Arbeit von Historikern und Historikerinnen.
(45) Siehe zum Wettbewerb der Erinnerungen und zum Auftreten von Polen in der Gedenkstätte Ravensbrück das Interview mit Insa Eschebach in der FAZ Nr. 21 vom 25.01.2019, S. 11 (Ein Gespräch mit Insa Eschebach, Wir müssen an die Realgeschichte erinnern. Die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück über postnationales Gedenken und Opferkonkurrenz).
(46) Vgl. Bernd Faulenbach, Acht Jahre deutsch-deutsche Vergangenheitsdebatte - Aspekte einer kritischen Bilanz, in: Christoph Kleßmann/Hans Misselwitz/Günter Wichert (Hg.), Deutsche Vergangenheiten - eine gemeinsame Herausforderung, Berlin 1999. S. 15-34.
(47) Die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur arbeitet seit 1998 auf der Basis eines Bundesgesetzes und gibt jährlich einen Bericht über ihre Arbeit heraus.
(48) Siehe Martin Sabrow/Rainer Eckert/Monika Flacke u. a. (Hg.), Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007.
(49) Siehe Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen) [und weiterer Abgeordneter] und der Fraktion der CDU/CSU: Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen, in: Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1874, 4.11.2003.
(50) Siehe Anmerkung 34.
(51) Siehe Wolfgang Benz (Hg.), Ein Kampf um Deutungshoheit. Politik, Opferinteressen und historische Forschung. Die Auseinandersetzungen um die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam, Berlin 2013.
(52) Ines Reich/Maria Schultz (Hg.), Sprechende Wände. Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam, Berlin 2015. Vgl. dies. (Hg.), Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam, 2. Aufl. Berlin 2012.
(53) Vgl. Anna Kaminsky (Hg.), Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer kommunistischer Diktaturen, Dresden 2018.
(54) Siehe dazu Stefan Troebst, Die Europäische Union als „Gedächtnis und Gewissen Europas“? Zur EU Geschichtspolitik seit der Osterweiterung, in: Etienne François/Kornelia Kończal/Robert Traba und Stefan Troebst (Hg.), Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich, Göttingen 2013, S. 94-155.
(55) Zur Diskussion über den 23. August als Gedenktag Günter Morsch, Schlachtfeld EU. Wie der Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes für einen erinnerungspolitischen Deutungskampf missbraucht wird, in: Jüdische Allgemeine v. 20.08.2009; Stefan Troebst, Der 23. August als euroatlantischer Gedenktag? Eine analytische Dokumentation, in: Anna Kaminsky/Dietmar Müller/Stefan Troebst, Der Hitler-Stalin-Pakt in den Erinnerungskulturen der Europäer, Göttingen 2011, S. 85-121.
(56) Vgl. Anmerkung 15.
(57) Vgl. Bernd Faulenbach, Die Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück als pädagogische Räume, in: Franz-Josef Jelich/Heidemarie Kemnitz, Die pädagogische Gestaltung des Raumes. Geschichte und Modernität, Bad Heilbrunn/Obb. 2003, S. 521-534.
(58) Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2013.
(59) Siehe Ulrike Jureit/Christian Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010; Margrit Frölich u. a. (Hg.), Repräsentationen des Holocaust im Gedächtnis der Generationen. Zur Gegenwartsbedeutung des Holocaust in Israel und Deutschland, Frankfurt a. M. 2004. Vgl. Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur, S. 67ff.
(60) Vgl. Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur, S. 67ff.
(61) Detlef Garbe, Gedenkstätten in der Bundesrepublik: Eine geschichtspolitische Erfolgsgeschichte im Gegenwind, in: Gedenkstätten und Geschichtspolitik. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 16, Bremen 2015, S. 75-89, hier S. 79.
(62) Vgl. Frank-Walter Steinmeier, „Es lebe unsere Demokratie“ Der 9. November 1918 und die deutsche Freiheitsgeschichte, München 2018; Bernd Faulenbach, Demokratiegeschichte als Aufgabe der Erinnerungarbeit in Deutschland, in: Michael Parak (Hg.), Demokratiegeschichte als Beitrag zur Demokratiestärkung, Berlin 2018, S. 43-48.